Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
elf Uhr wurde ich von Felix geweckt, der mir das Telefon ans Bett brachte. Kathrin plapperte los: »Weißt du es schon? Heute steht es in der Zeitung!«
    »Lies vor!« befahl ich und scheuchte Felix mit einer Handbewegung hinaus.
    Erbitterter Kampf im Frankfurter Rotlichtmilieu Im Stadtteil Ginnheim erweckte die seit Stunden offenstehende Eingangstür des Nachbarhauses den Verdacht eines aufmerksamen Anwohners. Niemand reagierte auf sein Rufen oder Klingeln. Als er besorgt in den Flur trat, tropfte ihm Wasser aus dem oberen Stockwerk entgegen, und er alarmierte per Notruf die Polizei. Im Schlafzimmer entdeckte Kriminalhauptkommissar Mühlbauer die Leiche des Hausbesitzers, der durch einen Kopfschuß zu Tode gekommen war, eine zweite Kugel hatte das Wasserbett getroffen. Laut Polizeibericht scheinen Fund- und Tatort übereinzustimmen. Der Ermordete war Mitinhaber eines einschlägigen Bordellbetriebs im Bahnhofsbezirk.
    Ein Zusammenhang mit dem kürzlich gemachten Fund eines weiblichen Torsos am linken Mainufer ist nicht von der Hand zu weisen. Wahrscheinlich wurde die thailändische Ehefrau des Toten von konkurrierenden Zuhältern entführt und befindet sich in Lebensgefahr.
    Die Polizei verfolgt mehrere heiße Spuren. Sie bittet die Bevölkerung um Mithilfe; die SoKo Hilter ist jederzeit unter der Telefonnummer...
    Kathrin setzte ab und wartete auf meinen Kommentar.
    »Über den aufmerksamen Anwohner kann ich nur lachen - der muß in der Mordnacht geschlafen haben wie ein Stein! Jetzt wird es Zeit, daß ihr auf der Wache antanzt«, riet ich. »Aber Pu muß vorher ihre Rolle bis zur Perfektion beherrschen! Und denk daran, daß man von da an vielleicht dein Telefon abhört. Außerdem solltet ihr euch überlegen, woher ihr so plötzlich eine Siamkatze habt! Vielleicht ist dem Nachbarn aufgefallen, daß Sven Hüters Katze erst drei Tage nach Pu verschwunden ist!«
    »Stimmt, daran hätte ich gar nicht gedacht«, sagte Kathrin, »die Katze heißt übrigens Lao-Lao. Falls der Kommissar sie überhaupt zu Gesicht kriegen sollte, war sie eben schon immer meine Katze. Sag den Jungs, daß auch Lao-Lao in Darmstadt gewohnt hat!«
    Ich brummte: »Noch was? Ich will nämlich bald losfahren, sonst wird es zu spät.«
    Ein tiefer Seufzer bewies, daß ihr der folgende Satz nicht leichtfiel: »Hast du meine Bilder schon abgeholt? Zum Abschied wollte ich dir sagen, daß du sie behalten kannst!«
    »Im Ernst? Nett, daß du dich noch daran erinnerst. Ich will nur den Matisse, die anderen werde ich dir zuschicken.
    Ciao, Kathrin, grüß Pu! Ihr hört bald von mir!«
    Tatsächlich saß ich eine Stunde später im Auto und wünschte nur, ich wäre bereits in Florenz. Die erste Unterbrechung fand schon in Heidelberg statt; Coras Eltern freuten sich aufrichtig über meinen unerwarteten Besuch, bedauerten jedoch, daß sich weder ihre Tochter noch Bela in meiner Begleitung befanden.
    »Cora fand es auch schade, daß Sie sich verpaßt haben«, sagte ich schnell; dann holte ich die Bilder vom Dachboden und verabschiedete mich.
    Am späten Nachmittag traf ich endlich in Freiburg ein und fand mit Mühe die Landstraße, die in das kleine Dorf und schließlich zu dem Bauernhof führte, wo mein Sohn seit einiger Zeit zu Gast war. Ich schämte mich, weil ich nur selten angerufen und kein Geschenk mitgebracht hatte. Als ich den Ferrari schwungvoll neben den Misthaufen setzte, eilte man mir von allen Seiten entgegen - Bela, Jonas und die Schwiegermutter in ihrer unsäglichen Kittelschürze.
    Der Junge sah kerngesund und fast wie ein kleiner Jonas aus. Doch das Temperament hatte er glücklicherweise nicht vom Vater: Bela sprudelte vor Erzählfreude und schien es nicht im geringsten übelzunehmen, daß ich ihn wochenlang abgeschoben hatte. Als erstes zog er mich zu den jungen Katzen.
    Eigentlich hatte ich geplant, mit meinem Kind unverzüglich weiterzufahren, aber es kam mir dann allzu unhöflich vor, die herzliche Einladung zum Abendessen und zur Übernachtung im Fremdenzimmer auszuschlagen. Es gab Schweinehaxe mit Kartoffelbrei und sauren Bohnen, ein Gericht, das meine Vorfreude auf das italienische Essen grenzenlos steigerte. Aber Bela, der früher nichts außer Pasta gemocht hatte, aß die Haxe mit wahrer Leidenschaft. »Oma, echt hammerhart!« schmeichelte er. Wie gut, daß Emilia den Verräter nicht hören konnte.
    Als Bela schlief und seine Großmutter sich taktvoll zurückgezogen hatte, blieb ich mit Jonas in der Küche sitzen. Wie erwartet, kam er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher