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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen
Autoren: Ingrid Noll
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Gefälligkeit bitten. Ein alter Freund von mir wohnt hier in der Nähe im Altersheim. Ich wollte eigentlich mit einem Besuch warten, bis Felix zurückkommt, aber Hugo wird ungeduldig. Hätten Sie vielleicht Zeit und Lust, mich hinzufahren?«
    »Lust schon«, behauptete ich, »aber das Auto, das mir zur Verfügung gestellt wurde, ist gemeingefährlich. Schließlich habe ich ein kleines Kind, es wäre unverantwortlich.«
    Frau Schwab sah das ein und beschieß, ein Taxi zu nehmen.
    Abends ertappte ich mich dabei, daß ich sehnsüchtig auf Allerleirauh wartete. Sie hatte mein Interesse geweckt, ich dichtete ihr düstere Geheimnisse und eine rätselhafte Vergangenheit an. Als Bela schlief, gab ich meiner Neugier nach und betrat erneut ihr Zimmer. Außer einer Sammlung von Katzen aus verschiedenen Materialien sah ich wenig Gegenstände, die Aufschluß über ihre Biographie oder ihren Geschmack geben konnten. Reich war sie sicherlich nicht, ich konnte nichts entdecken, was auf Luxus hinwies. An Kleidung und Kosmetika war nur das Nötigste vorhanden, vier Bücher stammten aus einer Leihbibliothek. Das einzige, wofür sie Geld auszugeben schien, waren Topfblumen. Am Fenster wuchsen Orchideen unterschiedlicher Art: Es gab fette, marzipanrosa Blüten, die an Plastik erinnerten, aber auch ganz zart violett getüpfelte. Einige blühten in edlem Weiß, andere sahen aus wie winzige Tiger.
    Welchen Beruf mochte Allerleirauh haben? In den Schreibtischschubladen fand ich Material für fremdsprachigen Unterricht und schloß daraus, daß sie Lehrerin war.
    Ich hatte nicht schlecht geraten. Am Abend gab Allerleirauh, die eigentlich Kathrin hieß, auf alle meine Fragen bereitwillig Antwort: »Ich mußte vor meinem Mann Hals über Kopf fliehen. Max, den ich schon lange kenne, hatte sich gleichzeitig von seiner Freundin getrennt, und ihr Zimmer wurde frei. Er bot mir an, hier unterzukriechen. Das kam mir einerseits sehr gelegen, aber andererseits muß ich nun täglich zur Arbeit nach Frankfurt fahren. Ich unterrichte Italienisch an der Volkshochschule, außerdem Deutsch als Fremdsprache.«
    Dann begann sie ihrerseits, mich zu befragen: »Und womit verdienst du deine Brötchen?«
    Ich mußte leider zugeben, daß ich meinen Job als Fremdenführerin in Florenz verloren hatte und seit längerem arbeitslos war. Den peinlichen Grund dafür verschwieg ich.
    Kathrin seufzte tief: »Man muß heutzutage froh sein, wenn man einen Job hat«, sagte sie. Dann sah sie mich eine Weile nachdenklich an und fragte dann: »Hättest du Lust, hin und wieder meinen >Ferienkurs Italienisch< zu übernehmen?«
    Coras Großmutter sollte ich chauffieren, Kathrin bat um eine Vertretung - für beides fehlte mir die Chuzpe.
    »Du traust dich nicht, stimmt's?« fragte meine Mitbewohnerin.
    »Dabei ist es im Grunde gar nicht schwer. Meine Kursteilnehmer - es sind hauptsächlich Frauen - haben sich dermaßen in die italienische Sprache verliebt, daß man ihnen jeden Blödsinn auftischen kann. Es geht keineswegs um eine echte Qualifikation, die sie erreichen müssen, sondern um ein paar Vokabeln für die Ferien. Ein sehr netter Rentner besuchte den Kurs bloß, um sein Essen senza aglio bestellen zu können, damit er anschließend nicht nach Knoblauch stinkt. Andere wollen die Eissorten auf italienisch benennen, obwohl der Kellner perfekt Deutsch spricht.«
    Auch ich hatte dieses Phänomen bei meinen Stadtführungen immer wieder beobachtet. »Sicherlich könnte ich es schaffen«, sagte ich. »Aber es lohnt sich kaum, daß ich mich für eine einzige Unterrichtsstunde vorbereite. Meine Freundin Cora wird mich in den nächsten Tagen abholen. Übermorgen bin ich womöglich schon wieder auf dem Weg ins Gelobte Land. Und außerdem - wohin mit Bela, wenn ich dich tatsächlich vertreten würde? Denn in diesem Fall hättest du sicherlich etwas anderes vor, als den Babysitter zu spielen«
    Sie nickte. »Allerdings. Aber wo hast du deinen Sohn gelassen, als du in Florenz die Touristen betreut hast? Geht er bereits in den Kindergarten?«
    Ich verneinte und erzählte, daß Bela zwar vom Alter her reif für den Kindergarten sei, aber unsere gute Emilia den Jungen ins Herz geschlossen und ihn mit Begeisterung versorgt habe.
    »Wer ist Emilia?« fragte sie.
    »Unsere Haushälterin«, sagte ich und schämte mich sofort.
    Ich erweckte den Eindruck, in Reichtum oder gar Überfluß zu leben, und außerdem würde sich Emilia eine solche Bezeichnung verbitten.
    Kathrin wiederholte spöttisch:
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