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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen
Autoren: Ingrid Noll
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berufstätigen Frau, von der gestern ebenfalls die Rede war. Andy klärte mich darüber auf, daß die Mitbewohner sie Allerleirauh nannten, weil sie sich von ihrem eigenen Mann verfolgt fühle und die WG als Schutzzone verwende. Ihr Zimmer betrat ich erst, als sich Andy mit frisch gekämmtem Pferdeschwanz auf seinem Fahrrad davongemacht hatte.
    Erst im Laufe des Tages wurde mir so richtig bewußt, wie unverfroren sich Cora mit Felix aus dem Staub gemacht hatte. Vetter und Kusine hatten bei ihrem Aufbruch eine geradezu unanständige Eile an den Tag gelegt. Zu welchen Zeiten sollte ich die Großmutter eigentlich besuchen? Ungern setzte ich mich in das fremde Auto, das eine wahre Rostlaube zu sein schien. Der Hund sprang triumphierend auf den Beifahrerplatz. Zu seiner Freude fand Bela auf der Rückbank leere Bierdosen, ölige
    Lappen und einen Satz Schraubenzieher. Cora hatte nicht daran gedacht, Belas Kindersitz aus dem Ferrari herauszunehmen.
    Mit Mühe und erst nach mehrmaligem Fragen fand ich das Hexenhäuschen von Oma Schwab; Felix hatte mir ihren Hausschlüssel anvertraut. Trotz meiner Verdrossenheit nahm ich mir vor, meine schlechte Laune nicht an ihr auszulassen.
    Sie war eine Dame der alten Schule, da durfte man keine falschen Vokabeln gebrauchen.
    »Ist die Lungenentzündung abgeklungen?« fragte ich und hielt den tatendurstigen Bela angestrengt fest.
    Frau Schwab wirkte überrascht. »Es war nur eine leichte Bronchitis, die letzte Lungenentzündung hatte ich mit sechzehn.
    Jetzt fehlt mir eigentlich nichts mehr.«
    Ich entschuldigte mich gerade noch einmal für Belas gestriges Malheur, als es schon wieder schepperte. Diesmal war es der Köter, der mit seinem Schwanz den Couchtisch leergefegt hatte. Kurz darauf mußte sich Bela nach dem Genuß allzu vieler Kekse übergeben, und ich bezweifelte ernstlich, ob man sich als Großmutter unbedingt Urenkel wünscht.
    »Frau Schwab«, sagte ich zuckersüß und füllte den Mülleimer mit säuerlich riechendem Küchenpapier und zerbrochenem Glas, »kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
    Sie lächelte angespannt und behauptete, sie habe einen Vorrat an Lebensmitteln parat und werde sich nachher eine Dose mit Spargelcremesuppe warm machen. Außerdem müsse sie in den nächsten Tagen endlich wieder an die frische Luft, es bekomme ihr nicht, wenn sie sich allzusehr schone. Dann könne sie Bananen und Äpfel besorgen.
    Wenig später kamen die von mir erwarteten Fragen: »Entschuldigen Sie meine Vergeßlichkeit, in letzter Zeit entfällt mir so manches. Zum Beispiel weiß ich nicht mehr, womit sich Cora den lieben langen Tag in Florenz beschäftigt?
    Hat sie inzwischen ein Studium aufgenommen?«
    Obwohl ich meiner Freundin im Moment überhaupt nicht grün war, hielt ich doch eisern zu ihr, wie immer, wenn ihre Eltern und nun gar die Großmutter mich aushorchen wollten. »Sie töpfert und malt wie eine Besessene«, behauptete ich. »Wahrscheinlich soll ihr Felix Modell stehen, wir kennen in Florenz keinen einzigen jungen Mann.
    Ich denke, Cora wird noch berühmt werden, und Sie können stolz auf Ihre Enkelin sein!«
    Das sei sie bereits, versicherte Oma Schwab und fügte, wie zum eigenen Trost, hinzu: »In ein paar Tagen sind Cora und Felix ja wieder hier. Kannten Sie meinen Enkel eigentlich schon? Er ist so ein guter Junge! Sie glauben gar nicht, was er alles für mich tut. Andere Studenten reisen in den Ferien nach Mexiko, er dagegen sorgt für eine langweilige Greisin wie mich. Ich gönne es ihm von ganzem Herzen, daß er auch mal ein wenig Abwechslung hat. Nur...« Sie brach ab.
    Auf dem Heimweg, als ich noch rasch einkaufen wollte, stellte ich fest, daß ich kein Geld dabeihatte; unser gemeinsames Portemonnaie steckte höchstwahrscheinlich in Coras Handtasche. Wen sollte ich anpumpen? Die Großmutter etwa, die den Verlust eines Meißner Tellers, einer Obstschale und ihrer Sonnenbrille meinem Gefolge verdankte?
    Den taxifahrenden Andy, der voller Neid von Felix' Nebeneinkünften sprach? Am Ende gar die unbekannte Mitbewohnerin?
    Ich beschloß, erst einmal die fremde Küche zu durchsuchen.
    Es fanden sich einige Billigvorräte, die weder mir noch Bela schmeckten. Anscheinend war nur für den Hund bestens gesorgt.
    Meinem Sohn servierte ich Nudeln ohne frisch geriebenen Parmesan, während ich eine Dose Hering mit exotischen Früchten in Currysoße löffelte. Nachdem Bela ausnahmsweise früh schlafen wollte, saß ich mutterseelenallein in meinem unfreiwilligen Exil. Der
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