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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen
Autoren: Ingrid Noll
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einzige Trost war ein zierliches Buttermesserchen, das ich in Frau Schwabs Küche in die Tasche hatte gleiten lassen. Sie würde denken, es sei mit den Scherben im Mülleimer gelandet. Aber als ich bald darauf entdeckte, daß es sich nur um Hotelsilber handelte, gewann meine Verdrossenheit wieder die Oberhand, und ich beschloß, das Messerchen wieder zurückzubringen.
    Meine vergeblichen Versuche, Emilia in Florenz zu erreichen, heiterten mich auch nicht auf. Schließlich wählte ich Coras Handynummer, aber erst beim fünften Versuch geruhte sie abzunehmen. Obwohl mir mein Stolz dabei im Weg stand, beschwerte ich mich doch darüber, daß sie mich ohne einen Pfennig zurückgelassen hatte.
    »Echt? Entschuldige, hab' ich glatt vergessen«, sagte sie, »aber mach dir keinen Kopf, Felix hat sicher irgendwo etwas liegen.«
    Felix übernahm den Hörer und erklärte mir, daß in einem Schuhkarton voller Disketten etwas Geld stecke. Ich solle mich bedienen.
    Am Schluß schaltete sich Cora wieder ein: »Übrigens, Maja, wir haben einen Abstecher nach München gemacht und eine klasse Ausstellung besucht! Also mach's gut, ciao, Maja!«
    Ich fand den Karton und stieß immerhin auf 300 Mark, einen Führerschein (den er doch eigentlich bei sich haben sollte) und die Fotos von einer Simone sowie einer Susi.
    Felix war zwar laut Ausweis ein wenig älter als wir, schien aber noch das reinste Unschuldslamm zu sein. Was hatte Cora bloß mit ihm vor?
    In der Küche, in der ich mich am liebsten aufhielt, fand ich nur einen billigen Rotwein, der sich nicht mit dem gewohnten Chianti classico oder Prosecco messen konnte.
    Wie lange Andys Dienst wohl dauerte?
    Als die Haustür geöffnet wurde, spähte ich erwartungsvoll in den Flur. Die Frau mochte zehn Jahre älter als ich sein, sah müde aus, seufzte vor sich hin und trat dann in die Küche. Der Hund begrüßte sie stürmisch. Sie hatte ihre weiblichen Reize zwar nicht wie die Allerleirauh im Märchen unter einem Mantel aus Rauhwerk kaschiert, wirkte aber auch so fast wie ein zierlicher Mann: Fasziniert starrte ich auf den dunklen Schatten über ihrer Oberlippe.
    Als sie sich am Küchentisch niedergelassen hatte, schenkte ich ihr ein Glas Wein ein. Im Schein der Hängelampe sah ihr kleiner Schnurrbart aus, als hätte sie nach einem Becher Schokoladeneis keine Serviette benutzt.
    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, erzählte sie mir ihre Geschichte: »Mit dreizehn bekam ich zum ersten Mal meine Tage, und meine Mutter tröstete mich: Dafür hätten Männer den lästigen Bartwuchs. Keiner konnte damals ahnen, daß auch ich mich bald rasieren mußte, und zwar täglich an Armen und Beinen. Einzig meinen Schnurrbart taste ich niemals an, der ist gewissermaßen mein Markenzeichen«
    Da Allerleirauh relativ unbefangen über ein tabuisiertes Frauenproblem sprach, hakte ich nach.
    »Die meisten Mitmenschen nehmen meinen Damenbart mit Interesse oder auch Amüsement zur Kenntnis und halten ihn nicht für unästhetisch. Unser Hausarzt bezeichnete dieses Phänomen als Hirsutismus, liebevolle Tanten nannten mich Affchen, ein Onkel sagte Katzerl zu mir. Meist waren es zärtliche, wenn auch tierische Kosenamen, die mir gegeben wurden, als ich sehr jung war.«
    »Mein Bruder nannte mich Elefantin«, murmelte ich.
    »Wie bitte?« fragte sie leicht schockiert. »Das ist ja nicht gerade schmeichelhaft! Diesem Bruder würde ich es heimzahlen!«
    »Ist bereits geschehen«, sagte ich leise, »er liegt auf dem Heidelberger Bergfriedhof.«
    Sie musterte mich einen Augenblick lang mit sichtlicher Verblüffung, dann meinte sie: »Du hast ja einen sehr speziellen Humor.«
    Später erzählte sie weiter. Erst mit 22 legte sie sich einen Ladyshaver zu und entfernte seitdem an jedem Sommermorgen ihren Pelz von den Gliedmaßen, im Winter konnte sie dank entsprechender Kleidung die Prozedur etwas hinauszögern.
    Welcher Urahn ihr die ungewöhnliche Behaarung vererbt hatte, wußte sie nicht. Vielleicht hätten sich haarige Gene potenziert, denn sie sei das Ergebnis einer mittel- und südeuropäischen Melange. Und sie kam ins Erzählen.
    Als Andy zu später Stunde heimkam, fragte er bloß: »War schon eine vo n euch mit dem Hund draußen?« Dann verzog er sich.
    Ich begriff, daß für den Hund durchaus gesorgt war; seinetwegen hätte ich nicht unbedingt in Darmstadt bleiben müssen.
    Am nächsten Morgen gelang es mir endlich, Emilia im fernen Florenz an den Apparat zu bekommen. Ich betrachtete sie weniger als
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