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Selbstmord (German Edition)

Selbstmord (German Edition)

Titel: Selbstmord (German Edition)
Autoren: Édouard Levé
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ihr, der Gedanke an dich Tränen in die Augen.
    Reue? Es tat dir leid um diejenigen, die um dich trauern und weinen würden, es schmerzte dich um die Liebe, die sie dir entgegengebracht hatten und die du erwidert hattest. Du bedauertest die Einsamkeit, in der du deine Frau zurücklassen würdest und die Leere, die deine Nächsten verspüren würden. Aber dieses Bedauern gab es nur in der Vorwegnahme der Ereignisse. Es würde mit dir selbst verschwinden: Nur diejenigen, die dich überlebten, würden den Schmerz, den dein Tod verursachte, ertragen müssen. Dieser dem Selbstmord eigene Egoismus gefiel dir nicht. Aber im Vergleich wog die Ruhe des Todes schwerer als die schmerzhafte Unruhe deines Lebens.
    Du hast eine Sammlung von Terzetten geschrieben, die kurz und dicht waren wie dein Leben. Niemand wusste davon. Deine Frau hat sie nach deinem Tod in der Schublade deines Schreibtischs entdeckt:
    Der Farn streift mich
Die Brennnessel sticht mich
Die Brombeere greift mich
Die Stadt schärft mich
Das Haus birgt mich
Das Zimmer beruhigt mich
Der Feind befeuert mich
Der Kampf begeistert mich
Der Sieg langweilt mich
Der Tag blendet mich
Der Abend besänftigt mich
Die Nacht birgt mich
Herrschen beklemmt mich
Ertragen versklavt mich
Alleinsein befreit mich
Die Hitze erdrückt mich
Der Regen umschließt mich
Die Kälte weckt mich
Tabak reizt mich
Alkohol betäubt mich
Rauschgift isoliert mich
Das Böse überrascht mich
Das Vergessen entlastet mich
Das Lachen rettet mich
Lust treibt mich
Genuss enttäuscht mich
Verlangen befreit mich
Freundschaft bindet mich
Liebe entblößt mich
Sex erfreut mich
Hinzufügen verlockt mich
Bewahren beruhigt mich
Entfernen erleichtert mich
Die Sonne ermattet mich
Die Erde umgibt mich
Der Mond rührt mich
Das Leben wurde mir gegeben
Der Name wurde mir vermacht
Der Körper wurde mir auferlegt
Das Fernsehen deprimiert mich
Das Radio stört mich
Die Zeitung langweilt mich
Der Heilige fasziniert mich
Der Gläubige beschäftigt mich
Der Priester beunruhigt mich
Das Einzelne erstaunt mich
Das Doppelte bestätigt mich
Das Dreifache beruhigt mich
Das Gleichgewicht hält mich
Der Sturz verrät mich
Die Genesung quält mich
Der Punkt hypnotisiert mich
Das Raster verwirrt mich
Die Linie leitet mich
Die Zeit fehlt mir
Der Raum genügt mir
Die Leere schmeichelt mir
Der Keller verstößt mich
Der Dachboden ruft mich
Die Treppe führt mich
Talent bezaubert mich
Virtuosität belügt mich
Genie erleuchtet mich
Vorsicht verstimmt mich
Gewalt erregt mich
Rachsucht enttäuscht mich
Durst stört mich
Hunger belebt mich
Essen ermüdet mich
Der Rand verlockt mich
Die Leere schluckt mich
Die Tiefe ängstigt mich
Das Wahre bewegt mich
Das Ungewisse plagt mich
Das Falsche fasziniert mich
Geschwätz verwirrt mich
Streit erhitzt mich
Schweigen erlöst mich
Die Schwierigkeit schult mich
Das Scheitern verhärtet mich
Der Erfolg besänftigt mich
Der Irrtum belehrt mich
Die Gewohnheit verbessert mich
Der Perfektionismus verfolgt mich
Die Kränkung überrascht mich
Die Erwiderung reizt mich
Die Verachtung rächt mich
Das Verderben verlockt mich
Die Ironie zügelt mich
Die Zuneigung sühnt mich
Der Glaube erschüttert mich
Die Treue versöhnt mich
Der Verrat erdolcht mich
Die Abfahrt euphorisiert mich
Die Reise verblödet mich
Die Ankunft labt mich
Die Erde trägt mich
Der Sand behindert mich
Der Schlamm umfängt mich
Die Begeisterung verschreckt mich
Die Andeutung beunruhigt mich
Die Neutralität überzeugt mich
Die Predigt verstimmt mich
Das Beispiel gewinnt mich
Die Handlung bekehrt mich
Putzen langweilt mich
Aufräumen besänftigt mich
Wegwerfen befreit mich
Das Neue reizt mich
Das Alte verwurzelt mich
Die Veränderung belebt mich
Arbeit erfüllt mich
Freizeit bildet mich
Urlaub lähmt mich
Wissen erweitert mich
Unkenntnis behindert mich
Vergessen erleichtert mich
Verlieren nervt mich
Gewinnen langweilt mich
Spielen enttäuscht mich
Verneinen verlockt mich
Bejahen begeistert mich
Vorschlagen befriedigt mich
Verführen verführt mich
Lieben verändert mich
Schlussmachen schmerzt mich
Die Kleidung deklariert mich
Die Verkleidung versteckt mich
Die Uniform tilgt mich
Reden verpflichtet mich
Zuhören unterrichtet mich
Schweigen mäßigt mich
Geborenwerden ereilt mich
Leben beschäftigt mich
Sterben beendet mich
Aufsteigen fällt mir schwer
Absteigen fällt mir leicht
Anhalten nützt mir nichts
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