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Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Titel: Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
Autoren: Janine Binder
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meine Kollegen und ich auf unseren recht unbequemen Stühlen herum und warten, dass uns der große Autobahnoberpolizist begrüßen kommt, damit es dann endlich vom Gebäude der Bezirksregierung, zu der die Autobahnpolizei damals noch gehörte, zu den Wachen gehen kann und wir unseren ersten Dienst erleben dürfen.
    Ich bin wie immer die Kleinste und Jüngste und drücke mich dezent im Hintergrund herum. Bloß keine Aufmerksamkeit erregen!
    Die Tür fliegt auf, ein Herr mit drei goldenen Sternen auf jeder Schulterklappe, die ihn als Polizeidirektor und somit für mich nahezu unerreichbar höhergestellten Beamten ausweisen, kommt rein, verliert ein paar begrüßende Worte und fragt dann locker in die Runde, wie wir uns den neuen Job »auf der Bahn« denn so vorstellen.
    »Langweilig!«, flüstere ich vor mich hin. Doch der freundlich lächelnde Mensch hat leider gute Ohren. Er betrachtet das Namensschildchen vor mir.
    »Frau Binder, das war zu leise, ich konnte Sie nicht hören!« Aufmunternd lächelt er mich an.
    Ich rutsche auf meinem Stuhl hin und her und blicke angestrengt an ihm vorbei. »Langweilig, hab ich gesagt!«, nuschele ich schließlich nicht unbedingt verständlicher.
    Das Lächeln weicht keinen Deut aus seinem Gesicht, und er betrachtet wieder mein Schild. Ich kann förmlich sehen, wie er sich meinen Namen und mein Gesicht einprägt. »Super, Janine«, sage ich mir, »das mit dem ›Keine Aufmerksamkeit erregen‹ hat ja toll geklappt!«
    Verlegen drehe ich meine Mütze in den Händen hin und her, während der Herr, den hier alle siezen, obwohl das bei der Polizei eigentlich unüblich ist, mir erklärt, wie viel Spaß ich bei der Autobahn haben würde, welch spannende Einsätze mich erwarteten und wie dankbar ich sein könne, dass ich es nicht mit dem »Gesocks« in der Stadt zu tun bekäme, das einem da jeden Tag begegnet. Ich nicke artig, verkneife mir jeden weiteren Kommentar und lächle die nächste halbe Stunde grenzdebil vor mich hin.
    Wir bekommen eine mehrtägige Einführungsfortbildung und lernen all das, was uns in der Ausbildung immer als weniger wichtig verkauft wurde: Lkw-Kontrollen, Sozialvorschriften, Diagrammscheiben kontrollieren, Unfallstellen auf der Autobahn absichern, wie man ein Fahrzeug auf der Autobahn anhält und wie man den Verkehr stoppt, um auf der Fahrbahn liegende Gegenstände einzusammeln …
    All das wird uns schnell noch beigebracht, dann sind wir fit. Fit für die Autobahn.
    Die nächsten Monate fliegen nur so dahin. Ich nehme unzählige Unfälle auf, habe meine ersten Gerichtstermine, schreibe Anzeigen wegen schlecht oder auch gar nicht gesicherter Ladung, wir erwischen Geschwindigkeitssünder, begleiten Schwertransporte, ich räume von der Badewanne bis zum Reisekoffer so ziemlich jeden denkbaren und undenkbaren Gegenstand vom Asphalt, fange Tiere wieder ein und erschieße diejenigen, die es nicht mehr geschafft haben, rechtzeitig den Fahrzeugen auszuweichen. Wir machen liegen gebliebene Fahrzeuge wieder flott und sichern Stauenden ab.
    Kurz: Für Langeweile bleibt nur in den meist ruhigeren Nachtdiensten Zeit.
    Genau so einen Nachtdienst haben wir heute. Es ist Winter, und ein eisiger Wind weht über die Autobahn. Auf den Straßen war nichts los, wir haben auch den letzten Zeitungskurier und Brötchenausfahrer kontrolliert, und jetzt sitzen wir zu acht gemeinsam mit unserem Vorgesetzten bei Kakao und Plätzchen auf der Wache und schauen Horrorfilme. »Final Destination« ist heute angesagt. Gebannt verfolgen wir, wie die dem Tod soeben von der Schippe gesprungenen Menschen nach und nach doch noch um die Ecke gebracht werden.
    Auf einmal knistert es im bis dahin toten Funk. Mein Kollege reißt erstaunt die Arme hoch, verzieht sein Gesicht zu einer gruseligen Grimasse und stöhnt im Horrorfilmton: »Wahhhh, er ist hiiiiieeeer, er will auch uns holen!«
    Ich schlage ihm leicht genervt mit meiner Mütze auf den Hinterkopf und schubse ihn, damit er zum Funkgerät geht, weil ich keine Lust habe, meinen eigenen Po von der warmen Heizung zu bewegen.
    Er stöhnt und ächzt und erhebt sich, als der Funk auch schon lebendig wird. »Umgekippter Lkw-Anhänger, liegt offenbar auf dem Seitenstreifen, aber ragt in die Fahrbahn.«
    Grummelnd rappele ich mich hoch, obwohl ich am liebsten sitzen geblieben wäre. »Wir fahren schon. Sagt mir, wie der Film ausgegangen ist.« Ich ziehe mir die Mütze in die Stirn und stapfe nach draußen, dicht gefolgt von meinem Kollegen Thomas, mit dem
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