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Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Titel: Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
Autoren: Janine Binder
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geschafft!
    Mein Mitläufer nickt mir freundlich zu. »Sag ich doch, du schaffst das, Kollegin!« Er reicht mir die Hand, hilft mir beim Aufstehen, klopft mir kurz auf die Schulter und geht wieder zu seinen Kollegen, die mir kurz Beifall spenden und sich dann wieder anderen Dingen zuwenden. Den Kollegen habe ich nie wiedergesehen, aber seine Worte klingen mir heute noch in den Ohren, wenn ich in Situationen bin, in denen ich an mir zweifle.
    Der Prüfer reicht mir die Hand: »Herzlichen Glückwunsch, Frau Binder! Somit steht fest, dass Sie am 1 . Oktober 1998 Ihre Ausbildung zur Polizistin beginnen werden.«
    Mein Vater wartet auf dem Parkplatz auf mich und kann bereits an den lustigen kleinen Hopsern, mit denen ich auf ihn zulaufe, erkennen, dass ich auch den Sporttest erfolgreich absolviert habe. Und das, obwohl mein Sportlehrer in der Schule mich irgendwann den faulsten kleinen Wurm genannt hat, den er je unterrichtet hat!
    Während mein Vater vor Stolz fast platzt, folgen viele tränenreiche Diskussionen mit meiner Mutter und immer wieder die Bitte, doch noch mal darüber nachzudenken. Rechtsanwaltsfachangestellte oder Bankkauffrau seien doch auch ehrbare Berufe. Meine beiden fürsorglichen älteren Brüder beginnen mich genüsslich für »den Job« abzuhärten – natürlich mit den besten Absichten.
    So werde ich plötzlich beim Kaffeetrinken gewürgt, finde mich ans Treppengeländer gefesselt wieder und muss unerwartete Angriffe beim Frühstück oder am Mittagstisch mit den Fäusten abwehren, während man mir gleichzeitig mit den Worten: »Als Bulette musst du dem was entgegenzusetzen haben!« die Arme auf dem Rücken fesselt.
    Auch meine Klassenkameraden machen sich über mich lustig: Ob man mich als Polizeihund eingestellt habe, von der Größe her komme das ja ungefähr hin? Oder ob ich die neue Sekretärin des Polizeipräsidenten würde, denn im Streifenwagen übers Lenkrad gucken, das könne ich doch sicherlich nicht.
    Ich nehme alles mit stoischer Gelassenheit hin, denn ich weiß, ich hab etwas geschafft, was mir niemand zugetraut hat. Ich, 158 Zentimeter klein und fünfundvierzig Kilo leicht, blond, schüchtern und gerade mal sechzehn Jahre alt, werde Polizistin.
    In ECHT !

Schnell erwachsen werden
1998
     
    Ich beuge mich über die Tastatur, presse mir ein Taschentuch unter die Nase und tippe mit einer Hand eine Strafanzeige in den Computer. Mir gegenüber sitzt mein Kollege, mit dem ich heute meinen letzten Praktikumsdienst in Aachen absolviert habe. Ab morgen werde ich wieder im Ausbildungsinstitut in Linnich Gesetze pauken, den Umgang mit der Waffe verfeinern, abends kleine Partys auf den Stuben feiern, an der Ruhr entlangjoggen und eine Menge Spaß haben.
    Doch jetzt habe ich dafür keinen Gedanken übrig. Meine Nase fühlt sich an, als wäre sie groß wie eine Aubergine, und pocht schrecklich. Sobald ich das Taschentuch wegnehme, tropft Blut auf die Tischplatte, und im Spiegel habe ich gesehen, dass ich bereits jetzt unter beiden Augen zwei herrliche Veilchen habe.
    Die Leichtigkeit und Unbedarftheit, mit denen ich bisher an unsere Einsätze herangegangen war, sind verflogen. Klar war mir eingetrichtert worden, vorsichtig zu sein, die Eigensicherung stand über allem. Aber irgendwie war bisher immer noch alles gut gegangen. In den Trainings in Linnich hatte man halt das vorher vereinbarte Zauberwort gebrüllt, wenn man die Situation nicht mehr unter Kontrolle hatte, und sofort ließ der Schauspieler, der den wütenden Aggressor mimte, von einem ab.
    Heute Nacht war das nicht so. Mit mehreren Streifenwagen waren wir zu einer Schlägerei gefahren. Es ist Karneval, und während meine Freunde selbst feiern sind, bin ich im Nachtdienst und versuche mit meinen Kollegen, wenigstens ein wenig Ordnung im karnevalistischen Chaos zu wahren.
    Noch bevor wir aus den Autos ausstiegen, zogen wir die Handschuhe an und funkten nach Verstärkung, denn die ungefähr vierzig Typen, die sich hier prügelten, waren ganz eindeutig zu viel für uns. Trotzdem hieß es handeln. Schließlich kann man als Polizist nicht im Auto sitzen bleiben und die Knöpfe runterdrücken, während man abwartet, bis die Herrschaften mit ihrer Keilerei fertig sind.
    Also hatten wir, zu sechst ganz klar in der Unterzahl, uns ins Getümmel gestürzt. Hatten Kontrahenten getrennt, Streithähne voneinander weggerissen, selbst Schläge ausgeteilt, waren peinlich darauf bedacht gewesen, dass im Gewühl niemand nach unseren Waffen greifen konnte,
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