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Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Titel: Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
Autoren: Janine Binder
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dabei vollkommen, wie gut es diese Gymnasiasten hatten, die drei Jahre länger zur Schule gingen, ein wenig kindlich sein durften und nicht groß und stark wirken und Ansprechpartner oder Problemlöser für jedermann sein mussten.
    Innerhalb kürzester Zeit wuchs ich an meinen Aufgaben und wurde älter und nachdenklicher, als ich es aufgrund meines Alters eigentlich sein sollte. Die Ausbildung war sicherlich eine schöne Zeit, wir haben viel gefeiert, viel gelacht, viel geliebt und gehasst, viel miteinander durchlebt, aber diese Zeit hat mir auch einen Teil meiner Kindheit, meiner Naivität und vor allem viel von meinem Glauben an das Gute im Menschen genommen.
    Im Jahr 2001 , mit knapp neunzehn Jahren, hatte ich es nach zweieinhalb Ausbildungsjahren geschafft. Ich hatte alle Klausuren und sportlichen Leistungsprüfungen bestanden, die mündliche Prüfung nicht glänzend, aber aufgrund meiner immer noch grandiosen Lernfaulheit zumindest ohne großen Aufwand hinter mich gebracht, und stand nun zusammen mit meinen Kollegen im Flur unseres Wohnheims bereit, um von unserem Jahrgangsleiter zu erfahren, wo wir demnächst eingesetzt werden würden.
    »Janine Binder, Polizeimeisterin, ab 1 . April 2001 Autobahnpolizei Köln!« Emotionslos las der Jahrgangsleiter weiter die Namen und Dienststellen vor, während ich spürte, dass ich kalkweiß wurde. Es war ein Schock, wie ein Schlag in die Magengrube.
    »Autobahnpolizei? Scheiße!«
    Autobahnpolizei – das war die Höchststrafe. Nur geradeaus fahren, Unfälle aufnehmen, Lkw kontrollieren. Nix Kriminalität oder gar Nervenkitzel. Kurz – es war die ödeste Tätigkeit, die ich mir vorstellen konnte, und dann auch noch ich, die ich die Straßenverkehrsordnung bisher nur in Ansätzen verstanden hatte und schon beim Anblick der Zulassungsordnung Schweißausbrüche bekam. Ich hatte wirklich mit allem gerechnet, nur nicht damit. Aber es war nichts zu machen, die Entscheidung stand fest, es half kein Tauschen, kein Bitten und Betteln, ich würde auf den Autobahnen von Köln für Ordnung sorgen oder nirgendwo.
    »Man wächst mit seinen Aufgaben!«, kam es aus der Reihe hinter mir, und jemand tätschelte mir die Schulter. »Sind ja nur vier Jahre, dann kannst du dich versetzen lassen, und du sparst dir die Zeit in der Hundertschaft. Ist doch super!«
    Das war natürlich richtig: Wer auf einer der Landbehörden oder bei der Autobahnpolizei landete, würde von den langweiligen und meist äußerst anstrengenden Demonstrations- und Fußballeinsätzen der Bereitschaftspolizei zunächst verschont bleiben, da nur die großen Behörden ihre Neulinge nach einem Jahr im Streifendienst zur weiteren Ausbildung in die Hundertschaften schicken.
    Trotzdem hatte jeder Mitleid mit mir und versuchte, mich aufzumuntern. Außer mir hatten noch ein paar weitere das gleiche Los gezogen, und man witzelte, dass es demnächst auf Kölns Autobahnen vielleicht Vorfälle wie bei »Cobra 11 « geben würde.
    Ich rang mir zu jedem Witz ein müdes Lächeln ab und begann bereits nach wenigen Tagen, mich daran zu gewöhnen. Was gut war, denn die Sticheleien über Polizisten der Autobahn, die nur das Geradeausfahren beherrschen und mit echter Polizeiarbeit überfordert sind, klingen mir noch heute in den Ohren. Und die Frage, ob ich das mit dem Linksabbiegen denn mittlerweile gelernt hätte, habe ich so oft gehört, dass ich oft schon am Gesichtsausdruck meines Gegenübers erkennen kann, dass sie jetzt kommen wird.
    Das einzig halbwegs Positive, das ich an dieser Versetzung erkennen konnte, war die Entfernung. Viele waren an die äußersten Ränder von Nordrhein-Westfalen geschickt worden und mussten sich nun rasch um Wohnungen oder Unterkünfte kümmern. Ich konnte immerhin erst mal bei meinen Eltern wohnen bleiben und dann weitersehen.
    Seufzend fügte ich mich in mein Schicksal, und meine Mutter fand immerhin doch noch etwas Positives an der Sache: »Das ist dann wenigstens nicht ganz so gefährlich wie in der Stadt!«
    Dass mich gerade die Action und die Gefahr gereizt hatten, wollte ich ihr lieber nicht sagen, und auch, dass die Gefahr, als Polizistin auf der Autobahn von einem Fahrzeug überrollt zu werden, nicht ganz unwesentlich ist, verschwieg ich lieber. Stattdessen trat ich am 1 . April 2001 als frischgebackene Polizeimeisterin mit zwei grünen Sternen auf den bisher noch blanken Schulterklappen meinen Dienst auf der Autobahnpolizeiwache Frechen an.

Die Geradeauspolizei
2001
     
    Gelangweilt lümmeln
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