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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil
Autoren: Holger Wuchold
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fallen, pflückte die dicke Zeitung auseinander. Auf der Titelseite des »Sunday Times Magazine« schaute ihn groß ein wohlbekanntes Augenpaar an. Willem starrte fasziniert zurück. Das Schwarzweiß-Porträt zeigte einen Mann in den Dreißigern mit braunem, leicht gewelltem Haar, der ihn direkt anlächelte. Willem hätte den weißen Schriftzug gar nicht zu lesen brauchen, der in drei Zeilen über die Schulter des Mannes lief, um zu wissen, um wen es sich handelte:
    »Henry Hewitt – Leben und Tod eines Gesellschaftslöwen«.
    Willem richtete sich auf, umklammerte fest mit beiden Händen das Heft. Alle Empfindungen der letzten Wochen – Angst, Erleichterung, Liebe, Wut, Verzweiflung, Befriedigung – bäumten sich in ihm auf, ballten sich zusammen, rissen ihn noch einmal mit, als müsste er alles, was er in den letzten Wochen erlebt hatte, noch einmal erleben, nur dieses Mal in einem einzigen Augenblick. Hewitt ist tot, Hewitt ist tot, Hewitt ist tot. Doch nichts ist vorbei. Er presste das Heft gegen sein Gesicht, schlug es gegen seinen Kopf, warf es aufs Bett zurück. Dann griff er wieder danach und blätterte, bis er die Geschichte fand.
    Das ganze Leben Henry Hewitts schien aus einer endlosen Folge von Anekdoten zu bestehen, die weit in die englische Historie zurückreichten. Und jede drehte sich um Glück, um Geld und um Leidenschaft.
    Die erste handelte von einem Anthony Henry Hewitt, der vor mehr als zweihundert Jahren den ganzen Besitz, den seine Vorfahren über Generationen angehäuft hatten, in einer Nacht am Spieltisch verlor. Ein Charles Anthony Hewitt wiederum gehörte einem Regiment an, das vollständig in Afghanistan aufgerieben worden war. Als einzigen verschonten die Aufständischen diesen Charles, damit er die Nachricht von der vernichtenden Niederlage seinen Vorgesetzten überbringen konnte. Statt als gebrochener Mann zu sterben, feierte er sein Überleben jahrelang in Pariser Freudenhäusern mit gepumptem Geld. Und es wurde von Henry Hewitts Vater erzählt, Henry Charles Hewitt, der, eingeladen auf dem Landsitz seines besten Freundes, dessen Frau und dessen drei Töchter verführte, alle in einer Nacht.
    Doch seine gesamten Vorfahren, hieß es weiter, würde Henry Hewitt in seinem kurzen Leben an Skrupellosigkeit übertreffen. Als Fünfzehnjähriger musste er die erste Eliteschule verlassen, weil er einen Lehrer wegen einer schlechten Note vor der Klasse zum Duell forderte. Von der nächsten Schule schmiss man ihn zwei Jahre später, nachdem die junge Frau des Direktors ihm öffentlich eine heftige Szene machte, als er die kurze Affäre mit ihr beendete. Auch an der Universität waren Henrys Tage gezählt, als herauskam, dass er gegen Bezahlung Studentinnen an Studenten vermittelte. Und in der Armee fiel er dadurch auf, dass er bei einem Manöver – angeblich versehentlich – drei Panzer eines befreundeten Staates in Brand schoss. Unehrenhaft entlassen, versuchte Hewitt anschließend sein Glück als Börsenmakler. Innerhalb von nur drei Jahren machte er ein Vermögen von zehn Millionen Pfund, allerdings mit Insider-Geschäften, was man ihm aber nicht eindeutig nachweisen konnte. Hewitt gab wenig später von sich aus das Börsengeschäft auf, als er die zehn Millionen Pfund bei einer Spekulation mit südamerikanischen Aktien wieder verlor.
    Ohne Geld, aber mit reichlich Charme ausgestattet, gelang es Hewitt dann, das Herz und die Mitgift von Anne-Marie de Montfaucon zu erobern. Mit ihrem Vermögen stieg er in den Handel mit asiatischer Kunst ein, der zu dieser Zeit zu florieren begann. Zum ersten Mal schien Henry Hewitts Leben in geordneten Bahnen zu verlaufen. Er hatte eine schöne Frau, eine Tochter, ein großes Haus im Londoner Südwesten und zwei Autos.
    Zudem lag ihm die Londoner Gesellschaft zu Füßen. Bei denen, die schon alles hatten, galt es als schick, bei Hewitt Bronzen und Vasen aus dem Fernen Osten zu erwerben. Sein Rat in allen Angelegenheiten der schönen Künste war gefragt, und auf allen Partys war er ein gern gesehener Gast. Seine zahlreichen Affären mit Blondinen schadeten ihm ganz und gar nicht, sondern erhöhten nur noch seinen Ruf als jedermanns Darling.
    Neid erregte sein rascher Aufstieg dagegen in Kollegenkreisen. Bald wunderten sich die Kunsthändler im Westend darüber, wie Hewitt es schaffte, die sprunghaft gestiegene Nachfrage nach asiatischer Kunst zu befriedigen, trotz der sich stetig verschärfenden Ausfuhrbeschränkungen in den Herkunftsländern. Seine Quellen
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