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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil
Autoren: Holger Wuchold
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selbstverständlich jeder Zeit über den hinterlegten Betrag verfügen. Dafür sei nur ein Codewort erforderlich. Allerdings dürfe er nicht mit Zinsen rechnen. Vielmehr würde die Bank eine Gebühr für die Führung seines Kontos erheben.
    »Da Sie, wie Sie sagten, häufig in London zu tun haben, dürfte es für Sie vielleicht auch interessant sein, dass Sie auch dort Geld von ihrem Konto abheben können. Wir haben zu diesem Zweck eine diskrete Vereinbarung, wenn Sie verstehen, was ich meine, mit einer Privatbank getroffen. Sie brauchen uns nur telefonisch zu informieren, wie viel sie von ihrem Konto abheben wollen, und können am nächsten Tag ohne jede Formalitäten die gewünschte Summe in London in Empfang nehmen. Allerdings müssen wir für den Transfer eine Gebühr erheben. Welches Codewort wünschen Sie?«
    »Holland Park«, antwortete Willem spontan.
    Meyer nannte ihm daraufhin den Namen und die Anschrift der Londoner Privatbank.
    »Ich denke, es ist überflüssig, Sie zu bitten, diese Information vertraulich zu behandeln.« Er reichte Willem ein Formular zur Unterschrift. »Ich freue mich, dass Sie unserem Institut Ihr Vertrauen schenken.«
    Meyer rief dann einen weiteren Angestellten in sein Büro, der aus Willems Tasche das Geld nahm und in Windeseile zählte.
    Gerne hätte Willem noch den Manager gefragt, ob auch ein gewisser Henry Hewitt zu seinem Kundenkreis gehörte und wie viel Geld dieser Hewitt deponiert hatte. Aber er wusste natürlich, dass er auf diese Frage nie und nimmer eine Antwort bekäme.
    »Das wäre eigentlich alles«, sagte Dr. Meyer.
    Willem bedankte sich.
    »Wir danken Ihnen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Aufenthalt in der Schweiz.«
    Als Willem die Bank verlassen hatte, schaute er auf die Uhr. Keine fünfzehn Minuten hatte er sich in der Bank aufgehalten. Die schwarze Sporttasche knüllte er zusammen und stopfte sie in den erstbesten Abfallbehälter. Weitere fünf Minuten später saß Willem wieder in seinem Alfa, um nach Sils-Maria weiterzufahren. Er hatte am Frühstückstisch einen Reiseführer über die Schweiz durchgeblättert, und der Ort war ihm, vielleicht wegen seines klangvollen Namens, im Gedächtnis haften geblieben.

 
21
     
     
     
    Vier Wochen waren bereits vergangen, seit Willem London widerwillig verlassen hatte. Und noch immer hielt er sich in Sils-Maria auf.
    Obwohl es seit Jahren sein Wunsch war, Florenz, Venedig und vor allem Rom mit eigenen Augen zu sehen, hatte ihn bislang der Mangel an Zeit und Geld davon abgehalten, nach Italien zu reisen. Jetzt hatte er sowohl Geld als auch Zeit. Dennoch zögerte er, die nahe Grenze zu überschreiten. Zum einen befürchtete er, die Realität in dem Land, in dem die Zitronen blühen, könnte seinen hohen Erwartungen nicht standhalten. Zum anderen glaubte er, auf Italien noch nicht ausreichend vorbereitet zu sein. Er verbrachte deshalb einen großen Teil des Tages damit, Reisebeschreibungen über Italien zu lesen. Auch hatte er angefangen, Italienisch zu lernen. Was Willem aber vor allem zurückhielt, war die trübe Aussicht, die Eindrücke einer Italienreise mit niemandem teilen zu können.
    Willem war in Sils-Maria in einem kleinen altmodischen, aber komfortablen Hotel abgestiegen. Die meisten Gäste waren wesentlich älter als er und kamen aus aller Welt. Das Abendessen wurde an einer gemeinsamen Tafel eingenommen. Willem genoss die stets lebhaften, wenn auch oberflächlichen Tischgespräche. Von Deutschen, Franzosen und Amerikanern wurde er in der Regel für einen Engländer gehalten. Engländer hielten ihn für einen Holländer oder Skandinavier. Beides war ihm recht. Wenn ihn jemand danach fragte, gab Willem vor, bei einer belgischen Versicherung beschäftigt zu sein. Er wollte die leidigen politischen Diskussionen vermeiden, die sich erfahrungsgemäß ergaben, wenn er seinen tatsächlichen Beruf nannte. Auch sicherte sich Willem das Mitgefühl der anderen Gäste, indem er behauptete, er sei aus gesundheitlichen Gründen nach Sils-Maria gekommen.
    Beinahe täglich fuhr er ins benachbarte St. Moritz, um sich mit englischen Zeitungen zu versorgen, oder er lieh sich die Zeitungen der englischen Gäste aus. Seit er in der »Times« gelesen hatte, dass die britische Polizei nach Michail fahndete, hatte er nichts mehr, nicht die kleinste Meldung, über den Fall »Hewitt« entdecken können. Willem ging aber davon aus, dass Michail längst gefasst worden war, wenn er sich nicht sogar selbst der Polizei gestellt
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