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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil
Autoren: Holger Wuchold
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Haus auf der rechten Seite öffnete sich die Tür, als ob jemand dahinter die Ankunft der beiden abgepasst hätte. Das Mädchen eilte die Stufen hoch, Hewitt hinterher.
    Hier wohnte er also. Nummer 46, Phillimore Gardens. Ein typisch viktorianisches Stadthaus, wie man es in den besseren Gegenden des Londoner Südwestens häufig sah, mit einer weiß getünchten Front und einer auffallenden, nachtblau lackierten Tür, auf der in geschwungenem Messing eine 46 prangte. Eine kleine Balustrade über dem Eingang wurde von Säulen gestützt, links und rechts reichten Erker bis in die erste Etage hinauf, auf denen sich in der zweiten Etage wiederum Balustraden mit Baikonen anschlossen. Alle Häuser in der Straße waren weiß. Von der architektonischen Gestaltung her unterschieden sie sich kaum. Hewitts Haus war aber um ein Drittel breiter als die anderen. Statt eines Vorgartens hatte das Haus einen mit Kies bestreuten Vorplatz, auf dem ein dunkelblauer Range Rover quergestellt parkte. Auf der Straße direkt vor dem Haus stand ein silbermetallicfarbener Siebener-BMW, der vermutlich auch ihm gehörte.
    Das Haus, die Autos, die Straße, der Stadtteil, alles strahlte einen behaglichen Wohlstand aus, keinen überladenen Luxus, sondern einen soliden Reichtum, der die Bewohner vor allen unangenehmen Wechselfällen bewahrte, die das Leben für den Rest der Menschheit bereithielt. Willem störte sich nicht daran, dass die Reichtümer dieser Welt ungleich verteilt waren. Er ärgerte sich nur, dass er nicht zu den Reichen gehörte. Er wollte die Welt nicht verändern, sondern nur an ihr teilhaben.

 
2
     
     
     
    Willem ging die Old Brompton Road hinunter, wie fast jeden Tag. Er hätte auch seine Zeitungen in Earls Court kaufen können. Doch er ging lieber zu einem Laden am unteren Ende der Old Brompton Road, unweit der U-Bahn-Station South Kensington. Dort gab es einfach die besseren Cafés. Und Zeitungslektüre und eine starke Tasse Kaffee gehörten für Willem untrennbar zusammen, waren fester Bestandteil seines Tagesablaufs. Meistens nahm er einen Milchkaffee oder doppelten Espresso mit einem Sandwich in einem kleinen italienischen Café direkt gegenüber der Dependance von Christie’s.
    Aber dort war es heute zu voll. Nur ein paar Schritte weiter, gleich um die Ecke, war ein französisches Café, »Raison d’être« mit Namen. Hier waren alle Tische leer, bis auf einen, an dem ein paar Schülerinnen saßen, die wohl den Unterricht in der nahe gelegenen Französischen Schule schwänzten. Ungeübt bliesen sie den Qualm ihrer Zigaretten gegen die Decke und kicherten.
    In seinem ersten Jahr in London hatte Willem noch einigermaßen regelmäßig ein halbes Dutzend Zeitungen seiner belgischen Heimat mit Berichten versorgt. Meistens waren es irgendwelche Geschichten gewesen, die ihm in britischen Zeitungen aufgefallen waren. Er brauchte sie nur zu übersetzen und hier und da einen erläuternden Halbsatz als Hilfe für seine belgischen Leser einzufügen. Aber auch diese Arbeit war ihm mit der Zeit lästig geworden. Inzwischen arbeitete er überhaupt nicht mehr. Nur die ausgiebige Zeitungslektüre hatte er beibehalten.
    Mehr zufällig als geplant war er Journalist geworden. Noch vor Ende des Studiums bot ihm ein ehemaliger Schulfreund an, für eine Antwerpener Zeitung als politischer Korrespondent in Brüssel zu arbeiten. Das Schreiben fiel ihm leicht, ebenso, die Riten der belgischen Innenpolitik zu durchschauen. Die einzige Eitelkeit, die er sich erlaubte, war, zwischen seinen Vor- und Familiennamen ein »de« einzufügen. Willem de Breuk, wie er seine Artikel zeichnete, klang ein wenig vornehmer als Willem Breuk. Fast vom ersten Tag an machte er seine Sache gut, ohne zu glänzen. Dazu fehlte es ihm an Ehrgeiz und Leidenschaft. Es dauerte kaum drei Jahre, und man bot ihm die Korrespondentenstelle in Paris an. Ohne lange zu überlegen, willigte Willem ein.
    Paris hatte zunächst verlockend geklungen. Paris war für ihn die Stadt jener französischen Schwarzweiß-Filme der frühen sechziger Jahre, in denen halbkriminelle Helden gleichgültig schöne Frauen liebten, ziellos durch überfüllte Bistros irrten, bis sie spurlos in regennasse Nächte verschwanden oder auf dem Schafott endeten. Doch die Kulisse gab es nicht mehr, zumindest schien sie bunt angestrichen. Statt der grauen und schwarzen Limousinen von Peugeot und Citroen verstopften grüne, blaue, rote Modelle ihm unbekannter Marken die Straßen. Auch die Frauen hatten ihre
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