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Segel aus Stein

Segel aus Stein

Titel: Segel aus Stein
Autoren: Ake Edwardson
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sich ein Bad einlaufen lassen zu können. Sie wollte nicht daran denken, tat es aber dennoch. Sie dachte sich das Wasser weg, den Luxus.
    Für ein paar Sekunden sah sie ein Gesicht, das einer Frau. Eine Tür, die geöffnet und geschlossen wurde. Ein Dämmerlicht. Augen, die leuchteten und verschwanden. Es waren ängstliche Augen.
    Vor ihren geschlossenen Augen sah sie Wasser, als würde sie unter Wasser schwimmen und von der Strömung weitergetragen werden, die der Wind des Meeres war.

3
    W inter fuhr die Vasagatan mit seinem Fahrrad in westlicher Richtung entlang, zum tausendsten Mal, öfter als das. Die Kette müsste geölt werden. Und das Vorderrad könnte etwas Luft gebrauchen.
    Die Cafes am Boulevard waren geöffnet. Irgendwo hatte er gelesen, dass dies die Straße mit den meisten Cafes in ganz Schweden ist. Vermutlich von ganz Nordeuropa. Genau dieser Ausdruck wurde häufig bei Vergleichen benutzt. Manchmal hatte er darüber nachgedacht, wie jetzt. Wo verlief die Grenze von Nordeuropa? In Höhe von Münster? Antwerpen? Warschau? Er lächelte über seine Gedanken. Vielleicht in Höhe von Göteborg.
    Aber es waren wirklich viele Cafes. Tausende von Gästen saßen in den Straßenlokalen. Im letzten Jahr hatte hier ein Krieg getobt, genau auf diesem Boulevard des Friedens, über den er gerade radelte.
    Ein junger Mann war in den Rücken geschossen worden und fast gestorben. Vielleicht hatte er einen verletzten Polizisten mit einem Stein am Kopf treffen wollen, vielleicht auch nicht.
    Am Abend zuvor hatten sich militante Demonstranten mit militanten Polizisten geprügelt. Winter hatte auf dem Balkon gestanden und es gesehen. Ihm war schwindlig gewesen und er hatte Übelkeit empfunden. Der Vasaplatsen war belagertes Gebiet gewesen.
    Die härteste Schlacht in Nordeuropa.
    Ganz Europa war an diesem schwarzen Wochenende in Göteborg durch seine EU-Repräsentanten vertreten gewesen. Auch der amerikanische Präsident war gekommen.
    Es waren auch Menschen da gewesen, die nicht vertreten werden wollten.
    Alle waren Opfer, auf verschiedene Weise. Die jungen Demonstranten, die mit Steinen warfen und sich prügelten. Die daneben standen. Die, die nur reden, vielleicht für ihr Recht marschieren wollten.
    Die Polizisten, die weichen, die harten, die ängstlichen, die verrückten, die Muskelpsychopathen, die Faschisten, die Sozialisten, die Liberalen. Die Pazifisten. Die Kommandosoldaten. Opfer. Manche weinten wie das Kind in ihnen.
    Die Polizei wurde nicht fertig mit ihrer Einsatzbesprechung.
    Hanne machte Überstunden, dauernd Überstunden. Hanne Östergaard, die Pfarrerin, die halbtags im Kriminalamt arbeitete. Es war eine altmodische Konstruktion. In der modernen Welt war mehr als ein halber Tag erforderlich zur Wiederaufrichtung der gemarterten Seelen der Kollegen.
    Das Schlimmste war die Planung, besser: die fehlende Planung. Nein, Scheiße, daran wollte er nicht denken. Niemand wollte daran denken, geschweige denn noch darüber reden.
    In der Woche danach war Halders nahe daran gewesen, einem der Militanten in der Truppe eins aufs Maul zu geben. Die eigene Bruderschaft. Viele waren über Halders erstaunt, Winter nicht. Halders' Herz hatte immer für den Sozialismus geschlagen. Wär ich da draußen gewesen, ich wäre mit den Kids marschiert, darauf könnt ihr Gift nehmen, hatte er gesagt. Und hättest eine Kugel in den Kopf gekriegt, hatte Bergenhem ergänzt. Sieh mal einer an, hatte Halders gesagt. Sogar wir wissen, dass wir nicht sicher vor uns selbst sind. Es war eine schwierige Situation, hatte Ringmar gesagt. Warum ist sie so schwierig geworden?, hatte Halders gefragt. Wann wurde sie kompliziert? Als die Kollegen das Hvitfeldstka-Gymnasium stürmten und die Kids zwangen, sich nackt auf den Steinboden zu legen? Wo waren wir da? Waren wir in Buenos Aires? Waren wir in Santiago? Waren wir in Montevideo? Nein. Wir waren in GöteFUCKINGborg! Waren gezwungen zu stürmen, hatte Aneta gesagt. Viele wollten nicht. Warum zum Teufel haben sie es dann getan?, hatte Halders gesagt. Nur weil sie dem Befehl gehorchten? Lieber Richter, ich war gezwungen, dem Befehl zu gehorchen. Hat man das nicht schon mal gehört? Halders hatte sich im Zimmer umgesehen. Nicht alle haben dem Befehl gehorcht, hatte Aneta gesagt. Manche Kollegen haben die Ausrüstung abgelegt, auf dem Järntorget.
    Danach war es lange still gewesen. Der Sommer draußen vor dem Fenster war perfekt gewesen. Winter hatte sich nach dem Meer gesehnt. Verfluchte verdammte
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