Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seerache

Seerache

Titel: Seerache
Autoren: Manfred Megerle
Vom Netzwerk:
irgendwie hinbekommen, da bin ich sicher. Morgen Mittag, zwölf Uhr, wir werden bei dir sein. Und jetzt mach Türen auf. Sitzung zu Ende.«
    Wie in Trance drückte Hauschild den Entriegelungsknopf, und Sekunden später hatte Igor den Wagen verlassen. Bevor er mit seinem Kompagnon in Richtung Ausfahrt entschwand, reichte er Hauschild eine Visitenkarte. »Hier. Damit du nicht denkst, wir nehmen Job nicht ernst.   Do svidanija! «
    Igor wandte sich bereits zum Gehen, als er sich an den Kopf griff, weil ihm offenbar noch etwas einfiel. Aus einer Innentasche seines Anzugs zog er ein flaches silbernes Gerät und drückte es dem verdutzten Hauschild in die Hand. »Entschuldige, hätte ich fast vergessen: Dein verschwundenes … äh …«
    »Smartphone«, half ihm sein Partner aus, der inzwischen ebenfalls zurückgekommen war.
    »Sag ich doch, Smartphone«, grunzte Igor und fügte hinzu: »Du solltest besser auf Sachen aufpassen, mein Freund.«
    Sein meckerndes Lachen hallte noch in Hauschilds Ohren, als die beiden seinen Blicken längst entschwunden waren. Böses ahnend, sah er auf die Visitenkarte. Als er den Namen las, bekam er weiche Knie. » MOSKAU-INKASSO «, prangte da in fetten Blockbuchstaben. Darunter, in kursiv, das Motto der Truppe: »Zahl oder stirb!«
    Hauschild zerriss die Karte und warf die Fetzen aus dem Fenster. Was für ein Aufwand wegen der paar vergessenen Kröten, dachte er. Borowski, dieser Korinthenkacker. Na ja, spätestens morgen Mittag war die Sache vom Tisch. Die fünfzig Mille würde er bis dahin schon auftreiben.

2
    Besser kann man es eigentlich nicht treffen, dachte Wolf. Der strahlend blaue Märzhimmel hoch über ihm war nach dem Dreckswetter der letzten Tage die reinste Offenbarung. Das morgendliche Sonnenlicht brach sich in der silbern schimmernden Hülle des Zeppelins und tauchte die Reihe der wartenden Fluggäste in einen gleißenden Schein. Und doch wollte bei ihm keine Freude aufkommen.
    Kurz zuvor hatte die Riesenzigarre auf dem Landeplatz aufgesetzt. Nun schwankte sie sacht am Haltemast hin und her, bereit, nach dem Austausch ihrer menschlichen Fracht aufs Neue zu starten.
    Je näher jedoch das »Boarding« rückte, desto unwohler fühlte sich Wolf in seiner Haut. Längst hatte er seine Flugangst überwunden geglaubt – und nun das! Am liebsten wäre er auf der Stelle aus der Schlange der Wartenden ausgeschert und wieder zurückgegangen.
    Er hätte sich die Aufnahmen nicht ansehen dürfen.
    Vorhin war er durch die Abfertigungshalle geschlendert und dabei zufällig auf eine Bildwand gestoßen – nichts Besonderes, lediglich eine Handvoll Reproduktionen von vergilbten Schwarz-Weiß-Fotos. Die allerdings hatten es in sich gehabt: Sie zeigten das Ende des Luftschiffs »Hindenburg«, das im Mai 1937 in   L akehurst/   USA   ein Opfer der Flammen geworden war und nicht weniger als sechsunddreißig Menschen in den Tod gerissen hatte. Ein Dreivierteljahrhundert war das jetzt her, und doch hatten sich die Motive unauslöschlich in Wolfs Gedächtnis gebrannt: das todbringende Flammenmeer, die verzweifelten Löschversuche, das verglühende Gestänge …
    Ein Schauder kroch ihm den Rücken hinab. Was, wenn sich eine solche Katastrophe wiederholte? Nicht irgendwann und irgendwo, sondern hier und heute?
    Seine Flugangst war wieder da.
    Im Grunde hatte er es sich selbst zuzuschreiben. Warum hatte er nicht dankend abgelehnt, als die Kollegen ihm den Zeppelinflug zu seinem Dienstjubiläum geschenkt hatten? Wieso, zum Teufel, hatte es auch ausgerechnet ein Zeppelinflug sein müssen? Ein kleines Präsent hätte es doch auch getan, eine Flasche Pastis zum Beispiel. Andererseits: Woher sollten die Kollegen von seiner Flugangst wissen, wenn er sie doch seit Jahren unter der Decke hielt?
    Noch etwas anderes gab ihm zu denken: Wieso hatte ausgerechnet Marsberg seine Begleitung angeboten, noch dazu ungefragt und auf eigene Kosten? Hatte der Freund und Kollege sein drohendes Kneifen etwa einkalkuliert? Das wäre ja oberpeinlich!
    Ein Gutes hatte die Sache aber gehabt. Als Marsbergs Beifahrer war er bequem nach Friedrichshafen gelangt. Die Zeiten, in denen er solche Entfernungen noch mit seinem Drahtesel schaffte, waren schließlich vorbei, und die Bahn schied wegen ihrer vertrackten Fahrkartenautomaten von vornherein aus.
    Er spürte einen Schubs im Rücken. »Los, Leo, kneifen gilt nicht, du bist dran«, drängte Marsberg und ließ seiner Aufforderung ein spöttisches Lachen folgen. Widerspruchslos
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher