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Seerache

Seerache

Titel: Seerache
Autoren: Manfred Megerle
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zusammen mit dem braunen Spuk, auch dieses Projekt in der Versenkung verschwunden. Von oben betrachtet sah alles recht harmlos aus, doch das täuschte. Wer rasch, egal an welchem Wochentag, von Überlingen nach Lindau oder München musste, der konnte ein Lied davon singen.
    Unvermittelt legte sich eine Hand auf Wolfs Schulter. »Na, Leo, haben wir dir zu viel versprochen?«, wollte Marsberg wissen.
    Wie dieser hatte auch die Mehrzahl der anderen Fluggäste inzwischen ihre Plätze verlassen. Ringsum wurde in unterschiedlichen Sprachen parliert, ausgestreckte Finger deuteten auf mehr oder weniger markante Orte in der Landschaft unter ihnen, und natürlich wurde auf Teufel komm raus fotografiert. Wolf und Marsberg schienen die Einzigen ohne Kameras zu sein.
    Wolf, dem vom ständigen Hinausstarren der Nacken schmerzte, stand nun ebenfalls auf. Ein Großteil der Passagiere hielt sich im Heck der Kabine auf, wo ein breites, über die ganze Rückfront der Kanzel reichendes Panoramafenster den ungehinderten Blick auf Friedrichshafen und sein Hinterland erlaubte. Schon wollte sich Wolf dazugesellen, als ihm einfiel, dass Marsberg noch immer auf eine Antwort wartete.
    »Ob ihr zu viel versprochen habt, willst du wissen?« Nachdenklich wiegte er den Kopf hin und her. »Nun, wie soll ich sagen, eigentlich ist es … na ja, ganz nett.«
    Als Marsberg fragend die Augenbrauen hob, fügte er schnell hinzu: »Jedenfalls entspannter als in einem Flieger.«
    Wolf ahnte, dass seine Antwort nicht Marsbergs Erwartungen entsprach. Er hätte sich jedoch lieber die Zunge abgebissen als zuzugeben, dass ihm die Fliegerei mit dem Zeppelin über die Maßen gefiel. Wie hätte das auch zusammengepasst: Vor dem Start ein Schisser, jetzt plötzlich ein Fan?
    Überraschenderweise löste seine Antwort bei Marsberg ein Schmunzeln aus. Was eigentlich nur verständlich war, denn die Gebanntheit, mit der er vom Start weg an seinem Fenster geklebt und die unter ihm vorbeiziehende Landschaft förmlich in sich aufgesogen hatte, wäre wohl selbst einem Blinden mit Krückstock nicht verborgen geblieben. Da musste er sich nicht wundern, wenn der Freund seine Antwort für die Untertreibung des Jahres hielt.
    Und so ließ denn Marsbergs Antwort auch nicht lange auf sich warten. »Wenn ich ehrlich sein soll, Leo … ›Ganz nett‹ sieht irgendwie anders aus, meinst du nicht?«
    »Was willst du damit sagen?«, gab Wolf schwach zurück.
    »Nun, könnte es sein …«
    »Nein, könnte es nicht.«
    »Ach, komm schon, Leo, lass endlich die Katze aus dem Sack. Du fürchtest dich vorm Fliegen. Na und? Es gibt Schlimmeres. Und ein Rundflug mit dem Zeppelin gehört gewiss nicht dazu, im Gegenteil. Hier kann man doch gar keine Flugangst haben, so gemächlich, wie das vorangeht.« Er sah Wolf prüfend an. »Oder täusche ich mich? Vielleicht hätten wir doch ein anderes Präsent für dich finden sollen.«
    Wolf druckste herum, ehe er sich zu einer Antwort entschloss. »Ja, stimmt, ich hab Flugangst – zumindest hatte ich sie bis heute Morgen. Die Aussicht, irgendein Fluggerät besteigen zu müssen, hat mir den Angstschweiß auf die Stirn getrieben. Weil das so ist, bin ich schon seit Jahren nicht mehr geflogen. Seit ich jedoch in diesem Zeppelin sitze, ist alles anders. Komisch, nicht wahr? Im Grunde genommen hab ich das euch zu verdanken.«
    »Dann ist es ja gut. Obwohl, laut Statistik …«
    »Geh mir weg mit Statistik.« Wolf lachte auf. »Da muss ich immer an meinen Nachbarn denken, der ist Jäger. Hat angeblich auf einen Hasen angelegt und zuerst knapp rechts vorbeigeschossen. Der zweite Schuss lag knapp links daneben. Im statistischen Durchschnitt ergäbe das einen toten Hasen, meinte er.«
    Nun musste auch Marsberg lachen. »Ein bisschen weit hergeholt, findest du nicht?«
    »Ja, vermutlich.«
    In der Zwischenzeit hatte das Luftschiff auf Westkurs gedreht. In Sichtweite zum Ufer schwebten sie über die samtblaue Wasserfläche, vorbei an Seemoos, Manzell und Immenstaad, bevor der Pilot zur einer Seeüberquerung ansetzte. Bei Münsterlingen erreichten sie schließlich das schweizerische Ufer, die Firnhänge des Säntis schienen zum Greifen nah. Dann erfolgte abermals ein Kurswechsel, diesmal nach Nordwest. Wenig später rückte der Grenzort Kreuzlingen in ihr Blickfeld, der nahtlos in Konstanz überging.
    »Leo, da unten … siehst du die Imperia?« Eindrucksvoll markierte die Statue von Peter Lenk die Konstanzer Hafeneinfahrt.
    »Aber sicher, ich bin ja nicht
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