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Seerache

Seerache

Titel: Seerache
Autoren: Manfred Megerle
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kein Wunder bei dreißig Prozent Rendite – pro Monat, wohlgemerkt. Wer konnte da schon Nein sagen? Er grinste. Gewissensbisse? Wieso sollte er die haben? Es traf ja keine Armen.
    Hatten ihn seine beiden Partner anfangs für einen Spinner gehalten, so waren sie inzwischen vom Gegenteil überzeugt. Wiederholt hatten sie ihm versichert, der Plan sei »irgendwie genial«. Nicht, dass er dieses Lob allein auf sich bezogen hätte, das Geschäftsmodell stammte schließlich nicht von ihm. Es war von ihren spanischen Geschäftspartnern entwickelt worden und fußte auf der Erkenntnis von Psychologen und Finanzstrategen, wonach die Gier nach immer mehr Geld den Verstand umso schneller ausblendet, je höher die in Aussicht gestellten Gewinne sind. »Gier frisst Hirn«, der Titel dieses Buches traf den Nagel auf den Kopf. Nicht umsonst zählte der Konstanzer Autor Jürgen Wagner hierzulande zu den kompetentesten Wirtschaftsanwälten.
    Beim Gedanken an die spanischen Partner lachte der Mann kurz auf. Seit sie die Anlagen teilweise auf eigene Rechnung verscherbelten, stimmte die Kasse. Er ärgerte sich, dass er nicht schon viel früher draufgekommen war. Und was sein Mitgefühl mit den Anlegern anging, so hielt sich das in Grenzen. Wer vor lauter Gier den Hals nicht voll genug bekam, war selbst schuld, wenn er sein Geld verlor.
    Ein Blick durchs Fenster auf das sich nähernde Konstanzer Ufer holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Noch zehn Minuten bis … nein, nicht bis Buffalo.
    Merkwürdig. Wieso fiel ihm gerade jetzt Fontanes Gedicht wieder ein – das von der Schwalbe, die über den Eriesee flog? War Lichtjahre her, dass er es das letzte Mal hatte aufsagen müssen … War die Schwalbe, dieser Kahn, etwa gesunken … oder am Ufer zerschellt? So oder so wäre es ein schlechtes Omen. Ausgerechnet jetzt!
    Ach was, dachte er und richtete den Blick nach vorn, wo hinter gischtenden Wellen das Konstanzer Ufer lag. Zehn Minuten bis zum Fährhafen … für einen Espresso im Stehen reichte das allemal. Kurz entschlossen kämpfte er sich zur Theke durch.
    Gerade wollte er seine Bestellung aufgeben, da drängte sich ein bulliger Glatzkopf an ihm vorbei und warf einen Zehneuroschein auf die Theke. »Wodka, aber doppelt«, verlangte er. In seinem derb klingenden Akzent klang es eher wie ein Befehl denn wie eine Bitte.
    So viel Dreistigkeit machte ihn einen Moment lang sprachlos. Was bildete sich dieser Kerl ein? Eine dicke Lippe riskieren, aber nicht mal richtig Deutsch können, pah! Ihm lag ein geharnischter Protest auf der Zunge, doch ein unbestimmtes Gefühl ließ ihn schweigen. War es ratsam, den Muskelprotz gegen sich aufzubringen? Dieser bullige Kerl – der Aussprache nach ein Osteuropäer – schien nicht nur unverfroren, sondern auch noch bärenstark. Grund genug, den Ärger fürs Erste hinunterzuschlucken. Er beschloss, ihn stattdessen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
    So ungewöhnlich wie die Statur des Glatzkopfs war dessen »modisches« Äußeres. Über einem ehemals weißen Hemd spannte sich ein knapp sitzender schwarzer Anzug, der die aufgepumpten, steroidverdächtigen Muskelpakete eher hervorhob, als dass er sie verbarg. Mit dem harten Akzent und dem blank polierten Schädel erinnerte er ihn verdammt an einen russischen Popen.
    Er kam nicht dazu, seine Begutachtung fortzuführen, denn kaum hatte der Kerl seinen Drink erhalten, da drehte er sich um, und zwar so ungestüm, dass gut die Hälfte des Wodkas auf seinem Mantel landete. »Können Sie nicht aufpassen?«, fauchte er erbost. »So eine Scheiße aber auch … Jetzt haben Sie mit Ihrem Gesöff meinen Mantel ruiniert.«
    Der Glatzkopf zeigte sich davon nur wenig beeindruckt. »Aber, aber, Herr Hauschild, warum denn gleich aus Rolle fallen?«, radebrechte er. Trotz des vordergründigen Spotts war ein gefährlicher Unterton in seiner Stimme nicht zu überhören.
    Einen Augenblick lang war er wie vor den Kopf geschlagen. »Sie … Sie kennen meinen Namen?«
    »Ist gute Frage«, erwiderte der Glatzkopf gelassen und richtete den Blick zur Decke. Als habe er dort die gesuchte Antwort gefunden, senkte er anschließend den Kopf und fasste sein Gegenüber ins Auge. »Thorsten Hauschild, frei arbeitender Fi… äh, wie heißt? Richtig: Finanzberater. Wohnen in Konstanz, vierunddreißig Jahr, geschieden, kinderlos«, leierte er herunter. »Sie wollen wissen, woher ich habe Information? Ist gemeinsamer Bekannter. Hat gebeten, sich … äh … ein wenig um Sie zu
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