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Seerache

Seerache

Titel: Seerache
Autoren: Manfred Megerle
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Akzent Teil des Geschäftsprinzips von »Moskau-Inkasso«, das im Wesentlichen auf dem Aufbau einer martialischen Drohkulisse beruhte, um säumige Schuldner schneller gefügig zu machen.
    »Was meinst du?«
    »Überall sind Bullen, hier wimmelt es geradezu von diesem Geschmeiß. Ich nehme an, das haben wir dir zu verdanken.«
    »Was für Bullen, wovon sprichst du? Wo seid ihr überhaupt?«
    »Am Strandweg in Überlingen. Kassieren, wie ausgemacht. Das hast du fein eingefädelt.«
    »Genug jetzt, verdammt noch mal. Was soll ich eingefädelt haben?«
    »Na was wohl? Du hast Hauschild umlegen lassen. Und wir wären ums Haar den Bullen in die Hände gelaufen.«
    Borowski brauchte offenbar eine Sekunde, um die Nachricht zu verdauen, denn am anderen Ende der Leitung blieb es einen Moment lang still. »Sag, dass das nicht wahr ist«, stieß er hervor.
    »Dass die uns geschnappt hätten?«
    »Nein, das mit Hauschild.«
    »Wie … soll das heißen, du weißt nichts davon?«
    »Ja bin ich denn nur noch von Idioten umgeben? Ich schlachte keine Kuh, bevor ich sie gemolken habe, merk dir das. Ich wäre schließlich der Letzte, der einen Nutzen davon hat, kapiert?«
    »Okay, kapiert. Aber wenn nicht du, wer dann?«, gab Igor kleinlaut zu bedenken.
    »Eben darüber solltest du dir mal Gedanken machen.«
    ***
    Die Rückseite des Hauses erwies sich als dessen eigentliche Schokoladenseite: nach Südwesten ausgerichtete Balkons und Terrassen und eine üppig-grüne Gartenanlage. Das gesamte Grundstück wurde von einer hohen Hainbuchenhecke umschlossen, hinter der seeseitig, wie Wolf wusste, ein öffentlicher Fußweg verlief.
    Mitten auf der Terrasse der Erdgeschosswohnung lag, mit einer silbern schimmernden Folie bedeckt, ein unförmiges Bündel. Der uniformierte Kollege, der daneben stand, grüßte kurz und trat dann zur Seite. Jo schlug die Folie zurück. Der mit Jeans und T-Shirt bekleidete Körper eines jüngeren Mannes kam zum Vorschein. Seine Gliedmaßen waren grotesk verdreht, als sei er heftig rudernd vom Himmel gefallen und hier aufgeschlagen.
    »Thorsten Hauschild, vierunddreißig, unverheiratet, nähere Anverwandte im Augenblick nicht bekannt. Ihm gehört das Penthaus.« Jo wies vage nach oben. »Von Beruf Finanzmakler. Hat zusammen mit zwei Partnern in Lindau eine Finanzagentur betrieben. Tod durch Sturz aus der zweiten Etage. Laut Notarzt erklären sich dadurch die zahlreichen Brüche und Hämatome an seinem Körper.«
    Wolf war in die Knie gegangen, um den Leichnam genauer zu betrachten. »Wer hat ihn gefunden?«, fragte er.
    »Seine Putzfrau, eine gewisse Frau Petöfi. Sie ist Ungarin.«
    »Petöfi, wie der Dichter?«
    »Den kennen Sie?«, fragte Jo erstaunt.
    Wolf erhob sich wieder. »Kennen wäre zu viel gesagt. Wo ist die Frau jetzt?«
    »Oben in der Wohnung. Der Notarzt ist bei ihr. Was die Todesursache betrifft …«
    »Ich würde mir gerne selbst ein Bild machen. Lass uns in die Wohnung dieses … wie hieß er doch gleich?«
    »Hauschild. Thorsten Hauschild.«
    »… in die Wohnung dieses Thorsten Hauschild gehen.«
    Als Wolf das Penthaus betrat, glaubte er sich in eine Klinik versetzt. Die Wände waren fast durchweg in Weiß gehalten, nur wenige hatte man mit naturrau gebrochenem Schiefer belegt. Ohne diesen Kontrast wäre die Klinik-Illusion vollkommen gewesen. Es fehlte nur noch die obligatorische Lautsprecheransage: »Dr. Wolf, bitte dringend zu Station C7, Dr. Wolf bitte …« Selbst der Fußboden erstrahlte in makellosem Weiß – auf den Marmorfliesen war nicht das feinste Stäubchen zu erkennen. Die bedauernswerte Frau Petöfi hatte Wolfs Hochachtung.
    Auch bei der Einrichtung schien die geringste Andeutung von Farbe streng verpönt gewesen zu sein. Während Tische und Schränke sich am Weiß der Wände orientierten, kontrastierten die Sitzmöbel in astreinem Schwarz. Einzig der Bildschmuck an den Wänden hob sich wohltuend davon ab. Die gerahmten Grafiken – nummeriert und handsigniert – schienen in Farbe geradezu zu schwelgen. Einige der Künstler waren sogar Wolf bekannt, Gerhard Richter etwa oder Georg Baselitz, auch wenn er den Werken beider Maler wenig abgewinnen konnte.
    Die Wohnung war konsequent durchgestylt, das musste man Hauschild lassen. Klare, schnörkellose Linienführung, jedes Stück auf das Funktionelle reduziert und dennoch ein Blickfang – Design, so weit das Auge reichte.
    Und noch etwas war nicht zu übersehen: Der Mann hatte nicht am Hungertuch genagt, ganz im
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