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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod
Autoren: Ann Cleeves
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bisschen zurückgegangen.»
    «Nein», sagte sie. «Das andere ist wichtiger.» Außerdem wusste sie, dass Ashworth Eliot in null Komma nichts zur Strecke bringen würde. Der Junge hatte kein Auto und war völlig durchnässt, und über ihren Köpfen dröhnte schon der Hubschrauber. Joe hatte es verdient, den Ruhm für die Verhaftung einzuheimsen.
    Beim Mallow Cottage ließ sie Connie und Alice aussteigen. «Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht doch in die Notaufnahme bringen soll?»
    «Das Team im Krankenwagen hat sie untersucht und gesagt, dass alles okay ist.»
    «Aye, na gut.» Vera dachte, dass es so wohl am besten war, aber sie hätte nichts dagegen gehabt, das Gespräch, das ihr nun bevorstand, noch etwas aufzuschieben.
    Sie parkte vor dem Haus der Listers. Die ältere Dame von nebenan beobachtete sie durchs Fliegengitter, und als sie Vera erkannte, winkte sie ihr kurz zu. Sie wollte nur sichergehen, dass jemand da war, der ein Auge auf Hannah behielt. Vera hatte die Klingel noch nicht erreicht, da hörte sie bereits Schritte. Die Tür ging auf, und das Mädchen war schon mitten im Satz.
    «Wo warst du denn? Ich dachte, du fährst bloß zum Supermarkt.» Es klang überhaupt nicht zickig. Hannah würde nie zu den Frauen gehören, die herumzickten. Sie war nur besorgt. Dann erkannte sie Vera, und es war genauso wie beim ersten Besuch der Kommissarin, als Vera Hannah mitteilen musste, dass ihre Mutter tot war.
    «Ach, Sie sind’s, Inspector. Ich dachte, es wäre Simon. Er hat den Wagen von meiner Mutter genommen, um einzukaufen. Er ist schon seit Stunden unterwegs, aber vielleicht wird er ja durch die Überschwemmung aufgehalten. Möchten Sie einen Kaffee?» Sie ging in die Küche.
    «Später vielleicht, Herzchen. Erst müssen wir miteinander reden.»
    Etwas in Veras Gesicht ließ das Mädchen erstarren.
    «Sie haben ihn, stimmt’s? Den Kerl, der meine Mutter umgebracht hat?»
    «Aye, wir wissen jetzt, wer es ist. Er ist noch nicht verhaftet, aber das ist bloß noch eine Frage der Zeit.»
    «Ist es jemand, den ich kenne?» Hannah blickte zu ihr hoch, sie spürte vielleicht, dass es hier um mehr ging als um die amtliche Mitteilung, dass der Mörder entlarvt war.
    Vera schwieg. Hannah hatte schon so viel durchmachen müssen. Wie konnte Vera ihr sagen, dass der Mann, den sie anbetete, ein Mörder war?
    «Es ist Simon.»
    «Niemals!» Hannah stieß ein gequältes Lachen aus. «Das ist ein furchtbarer Scherz, nicht wahr?» Ihr Gesicht war grau. Sie zog einen Stuhl heran und fiel fast auf den Sitz.
    «Es ist kein Scherz. Wollen Sie, dass ich es Ihnen erzähle? Oder soll ich zuerst jemanden kommen lassen, damit Sie nicht alleine sind? Eine Freundin? Eine Lehrerin?» Bei ihrem ersten Besuch hatte Vera fast die gleichen Fragen gestellt, und dann war Simon herbeigeeilt. Hannahs Ritter in schimmernder Rüstung. Ihr junger Verlobter.
    «Erzählen Sie es mir. Ich glaube Ihnen zwar nicht, aber erzählen Sie mir ruhig Ihre Geschichte.»
    «Sie hat sich in ihn verliebt. Ihre Mutter hat sich in Simon verliebt.»
    Es herrschte Schweigen, und das hatte Vera nicht erwartet. Sie hatte gedacht, Hannah würde in Tränen ausbrechen, es leugnen, wütend werden, ja sie sogar aus dem Haus werfen.
    «Sind Sie nicht überrascht?»
    «Sie fand ihn toll», sagte Hannah ruhig. «Das hat man gesehen. Aber Simon und ich, wir haben das nicht ernst genommen. Warum sollte sie ihn nicht toll finden? Warum sollte eine Frau in den Vierzigern einen jüngeren Mann nicht toll finden? Aber sie hätte doch nie was unternommen. Meine Mutter war eine anständige Frau.»
    Und sie ist älter geworden, ihre biologische Uhr hat getickt. Lust ist ein machtvolles Gefühl. Es ist ganz leicht, sich einzureden, dass man jemanden liebt, wenn sich erst mal die Hormone rühren. Die Liebe erlaubt uns, alles zu tun, was wir wollen. Die Liebe ist ehrenwert und tapfer, selbst wenn man mit dem Verlobten der eigenen Tochter vögelt. Das ist natürlich alles Schwachsinn, aber in dem Glauben sind wir erzogen worden. Und wenn man so lange anständig gewesen ist, muss die Versuchung, einmal etwas richtig Schlechtes zu tun, einfach übermächtig sein. Ja, das verstehe ich alles.
    «Was war mit Simon? Fand er sie auch toll?»
    «Er hat sie gern gehabt. Bewundert. Zu seiner eigenen Mutter hat er keine so tolle Beziehung, deshalb war ich froh, dass Mum und Simon sich so gut verstanden haben.»
    «Sie hatten ein Verhältnis miteinander», sagte Vera. Es war besser, wenn das Mädchen
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