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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher
Autoren: Martin Mucha
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ihren Augen. Das Gesicht war sowieso ganz Pokerface. Ich hatte genug Stunden als Croupier hinter Spieltischen verbracht, um das beurteilen zu können.
    »Ich habe gehört, es gibt bei Ihnen spezielle Konditionen, die man woanders nicht finden kann. Deswegen bin ich hier.«
    »Wir haben jede Menge sehr guter Angebote, welches schwebt Ihnen vor?« Dabei blätterte sie in einem der Prospekte, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen, ohne mich auch nur eine Millisekunde aus den Augen zu lassen.
    »Da wären Blitzkredite, sehr beliebt, Sie können das Geld sofort mitnehmen, in bar selbstverständlich. Die Zinsen hängen von der Laufzeit ab, zwischen drei und 21 Tagen. Ansonsten gibt es noch …«
    »Nein«, unterbrach ich sie, »ich bin wegen meiner Seele hier.«
    Augenblicklich hielt sie in ihrem Sermon inne und fixierte mich. Wenn ich geglaubt hatte, vorher im Fokus ihrer Aufmerksamkeit zu sein, hatte ich mich geirrt. Jetzt war ich es, und mir war nicht wohl dabei. Irgendwie kam ich mir vor wie ein Impala, dem der Löwe ins Auge blickt.
    »Wir sind keine Kirche, die befindet sich die Märzstraße hinauf, am Kardinal-Rauscher-Platz, vis-à-vis des Elisabethspitals.«
    »Ich habe gehört, Sie würden Seelen kaufen. Deswegen bin ich hier, ich habe eine anzubieten, ein bisschen abgewohnt zwar, aber immerhin.«
    »Na gut.« Wenn möglich, war sie jetzt noch ernster als zuvor. »Allerdings kaufen wir keine Seelen, sondern nehmen sie lediglich als Sicherheit. Wenn Sie Ihren Kredit nicht bedienen können, dann und nur dann wechselt sie den Besitzer.«
    »Was ist, wenn ich von vornherein gar keine Absicht habe, den Kredit zu bedienen? Schicken Sie mir dann ein Inkassokommando nach Hause?«
    »Nein. Ganz sicher nicht. Uns gehört ja dann Ihre Sicherheit.«
    »Sie wären das erste Büro dieser Art, das kein Inkassokommando unterhält. Für gewöhnlich sind das die großen Kerle mit den Baseballschlägern und den Problemen mit der Aggressionskontrolle. Die wahrscheinlich dort hinter der Tür gelagert sind. Haben Sie sicher schon gesehen.«
    »Ich bin nicht naiv. Natürlich haben wir gewisse Mittel zur Verfügung, wenn es die Zahlungsmoral säumiger Kunden zu stärken gilt. Wenn wir allerdings Sicherheiten haben, dann ist das nicht nötig.«
    »Aber es ist doch nur eine Seele.«
    »Genaugenommen ist es nur ein Stück Papier, auf dem das steht.«
    »Also kann jeder kommen und sich Geld abholen? Einfach so?«
    »Nein, keineswegs. Er oder sie hinterlässt ja die eigene Seele.«
    »Und ich kann nicht zweimal kommen?«
    »Nein, der Schöpfer in seiner Gnade hat jedem Menschen nur eine Seele verliehen. Wenn die weg ist, ist sie weg.«
    »Und was ist mein Unikat wert?«
    »Sie ist uns gut für 500 Euro.«
    »Nicht mehr? Schließlich hat Gott der Herr nur Einzelstücke angefertigt. Wird das nicht honoriert?«
    »Die Bewertung Ihrer Sicherheiten obliegt uns allein. Wenn unsere Konditionen Ihnen unangemessen erscheinen, können Sie sich ja einen anderen Kreditpartner suchen.«
    »Na gut, Sie haben mich in der Hand, ich brauche das Geld. Schließlich zahlt der Pfandleiher auch nie den vollen Wert für das Familiensilber. Wie steht es mit den Zinsen?«
    »Laufzeit fünf Monate, jeden Monat 20%.«
    »Das ist Wucher.«
    »Genau.«
    »Ich lasse Ihnen nur meine Seele, sonst nichts?«
    »Sicherlich, nur Ihre Seele.«
    »Na gut, wo muss ich unterschreiben?« Ich hatte schon in meine Jackentasche gegriffen und meine Füllfeder herausgeholt.
    »Diese speziellen Fälle betreut mein Vater, aber er ist momentan geschäftlich unterwegs. Wenn Sie also wollen, dann kommen Sie heute Abend so gegen acht noch mal vorbei. Wir haben dann den Vertrag aufgesetzt und Sie haben noch etwas Zeit, sich die ganze Sache durch den Kopf gehen zu lassen.«
    »Sehr gut, bis heute Abend dann.« Ich steckte meinen Füller wieder ein und stand auf.
    »Wenn Sie es sich bis dahin anders überlegt haben sollten, ist das für uns überhaupt kein Problem. Bedenken Sie gut, es ist Ihre Seele, die Sie einsetzen.«
    Ich verabschiedete mich und ging hinaus. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, heiß und schwül war es noch immer. Auf dem Gehsteig befanden sich große Regenlachen, in denen die Blüten der Sommerlinden schwammen. Ich ging nach Hause.

III
    Zu Hause holte ich meine Flasche aus der Ledertasche und schenkte mir einen Schluck Tee ein. Ich trank ihn aus und legte die nassen Kleider ab. Dann ging ich nackt zum Fenster, öffnete es und setzte mich in meinen Lehnstuhl, den ich
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