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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher
Autoren: Martin Mucha
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einschrieb, lag offen vor ihr.
    »Wer ist denn die Empfängerin?«, fragte der Lehrling neugierig. Entschuldigung meinerseits bei der Damenwelt, aber ›Lehrlingin‹ bringe ich nicht übers Herz.
    »Sie ist etwa in meinem Alter, sehr erfolgreich beruflich tätig, sehr schön und intelligent. Wahrscheinlich auch ein bisschen böse auf mich, und außerdem gibt es noch einen anderen.«
    »Bisschen viel für nur einen Strauß«, meinte die Chefin grimmig.
    »Wird schon werden«, meinte die mittlere aufmunternd zu mir. Dafür erntete sie einen bösen Blick.
    »An wie viel haben Sie gedacht?«
    Ich hatte mein Geld in der Straßenbahn gezählt.
    »105,45 Euro«, mehr war nicht übrig vom Geld, mit dem ich eigentlich meine Miete hätte zahlen sollen. Aber ich dachte an den fehlenden FI Schalter im Haus und drückte fest die Daumen. Reichi konnte da sicher was rausholen, rein mietrechtlich gesehen. Wenn nicht, dann Gute Nacht.
    Unterdessen sahen sich die drei Fachverkäuferinnen zufrieden nickend an.
    »Dafür geht scho was«, meinte die Jüngste. Man beriet sich, zog Fachliteratur und Erinnerung zu Hilfe, lief geschäftig hin und her und ging ganz in der Arbeit auf. Ich versuchte, nicht im Weg herumzustehen, und genoss ansonsten den sauberen Duft von frischem Grün und klarem Wasser. Es war erst das zweite Mal in meinem Leben, dass ich in einem Blumengeschäft war, aber es gefiel mir außerordentlich gut hier.
    Nach einer Weile standen sie wieder vor mir. Diesmal mit einem Bukett. Es war nicht übertrieben groß und auch nicht übertrieben auffällig. Der Hauptbestandteil waren Rosen, von einem Rot, das fast schon schwarz wirkte. Die Rosen waren noch nicht ganz erblüht, sondern hatten gerade erst die Form erreicht, in denen sie ein wenig dem weiblichen Geschlechtsteil ähneln. Ein paar glänzende Tautropfen fanden sich auch, durch welche Art von Zauber, weiß ich nicht. Außerdem war noch ein bisschen Grün und Weiß vorhanden. Ohne auch nur die geringste Ahnung von Blumen oder Buketttheorie zu haben, war ich mir völlig sicher, dass ich ein Kunstwerk vor mir hatte. Nicht groß, überwältigend und glühend wie ein Klavierkonzert von Mozart, sondern mehr wie eine Partita von Bach oder eine der Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier. Makellos, elegant, ein jeder Teil das Ganze spiegelnd und dabei so einfach, dass nur ein Meister erkennen kann, wie komplex es in Wahrheit ist. Mit einem Wort, ich war zufrieden.
    »Diesmal sollten Sie den Strauß aber selbst übergeben«, wurde mir unisono mitgeteilt.
    »Das habe ich schon vor. Keine Sorge.«
    Zufälligerweise waren genau 105,45 zu zahlen. Ohne einen Cent machte ich mich auf zum Hamerlingpark, der ebenfalls in der Josefstadt liegt, nur ein paar Häuser weiter. Dort, in der Kupkagasse, nahm ich all meinen Mut zusammen und klingelte. Es war fünf vor sieben. Keine 20 Sekunden später summte der Türöffner. Ich war ein wenig verwundert, denn die Gegensprechanlage war still geblieben. Umso besser, hatte ich doch so schon einen Fuß in der Tür. Gewissermaßen.
    Die Treppen hinauf waren kein Problem, aber mein Herz klopfte trotzdem wie verrückt, als ich mich Lauras Stockwerk näherte. Oben am Treppenabsatz bemerkte ich die weit offene Wohnungstür. An den Türrahmen gelehnt, stand sie da. Die dunklen Locken waren in den vergangenen Monaten ein wenig länger geworden, kräuselten sich an den Schultern, die weiß und bloß waren. Sie trug ein graues Kleid aus einer Art Seidenkrepp, mit hauchdünnen Spaghettiträgern. Am rechten Bein war das Kleid geschlitzt. Dorthin durfte ich nicht blicken, wollte ich nicht augenblicklich den Verstand verlieren, und gerade den brauchte ich jetzt. Laura war ganz leicht geschminkt und trug lange Silberohrringe, in deren hauchdünnen Fäden sich das Licht fing. Ihre mitternachtsblauen Augen blickten mich verwundert an.
    »Arno, was machst du da?«
    »Dich besuchen.«
    »Passt mir momentan überhaupt nicht gut.«
    »Na und?«
    »Was soll das heißen? Sagst einfach ›na und‹. Einen Moment hab ich mich gefreut, dich zu sehen, und du wirst schon wieder unverschämt.«
    »Na gut, dich erobern.«
    »Wie meinen?«
    »Na, besuchen passt dir nicht. Hast du recht. Ist arg unpersönlich. Also eigentlich bin ich da, um dich zu erobern. Vielleicht passt dir das ja besser.«
    Sie hatte sich vom Türrahmen gelöst und stand jetzt direkt vor mir. Antwort bekam ich keine.
    »Schau, ich hab sogar Sturmleitern mitgebracht.« Der Strauß hatte zwischen uns kaum mehr
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