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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher
Autoren: Martin Mucha
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Angelegenheit. Die Darsteller sind extrem überzeichnete Charaktere, so wie ein Musil sie zum Leben erweckte, deren Auftreten in realiter kaum von ihren Karikaturen zu unterscheiden ist. Der Plot wirkt wie von Shakespeare auf LSD und ständig tauchen irgendwelche bizarren Figuren aus dem Hintergrund auf, die kurz darauf in einer Supernova verglühen. Das Ganze wird von einem Chor Journalisten unterschiedlichster Couleur kommentiert. Mal todernst, mal durch und durch ironisch. Mit einem Budget um die hundert Milliarden Euro wahrscheinlich die teuerste Bühne der Welt. Aber man bekommt was geboten für sein Geld, so dass die Simpsons wie ein billiger Abklatsch wirken.
    Ich hatte noch kaum den Leitartikel und ein paar Kommentare gelesen, als mich schon jemand ansprach. Eine kleine, weibliche Stimme. Ich senkte mein Blatt. Vor mir stand eine junge Frau, Anfang 20.
    »Ja, bitte?«
    »Herr Doktor Linder?«
    »Genau der.«
    »Bruder Erich schickt mich.«
    »Warum kommt er nicht selbst?«
    »Vorsichtsmaßnahme.«
    Ich nickte.
    »Setzen Sie sich doch.« Was sie auch tat. Mit dunklem Haar, großen braunen Augen und einem kurzen, karierten Rock fehlten nur noch zwei Zöpfe, und sie wäre als Schulmädchen durchgegangen.
    »Wie haben Sie mich erkannt?«, fragte ich neugierig. »Hat man Ihnen ein Foto von mir gezeigt?« Hatte auch schon die katholische Kirche einen Akt über mich angelegt? Kein erfreulicher Gedanke.
    »Ach, woher. Wir sind uns schon begegnet.« Ich war baff, dachte ein bisschen nach und kam nicht drauf.
    »Helfen Sie mir bitte. Normalerweise habe ich ein gutes Gedächtnis …«
    »… was hübsche Frauen betrifft.« Sie lächelte verschmitzt.
    »Was Menschen betrifft, wollte ich eigentlich sagen, aber Ihre Version stimmt natürlich auch.«
    Sie setzte zu einer Erwiderung an, wurde jedoch vom Ober unterbrochen, der in diesem Moment geruhte, an unseren Tisch zu treten, keine 15 Minuten nach meinem Eintreffen im Café. Ein Wunder. Wir bestellten und er zog von dannen.
    »Also, wann sind wir uns schon einmal begegnet?« Ich biss mir beim Grübeln auf die Unterlippe, aber das half nichts.
    »Ich war ganz anders gekleidet damals«, half sie mir auf die Sprünge, spöttisch lächelnd.
    Ich dachte ein wenig nach, dann kam ich drauf.
    »Sie haben mir die Tür geöffnet.« Es saß niemand in unmittelbarer Nähe, deswegen war nicht allzu viel Vorsicht angebracht. »Bei meinem Besuch beim Herrn Kardinal.«
    »Genau.«
    »Der Habit steht Ihnen auch sehr gut.«
    Sie wiegte vielsagend den Kopf.
    »Und Sie heißen?«
    »Schwester Veronika.«
    »Ein schöner Name.«
    »Ich habe das Gelübde abgelegt, gegen Ihre Schmeicheleien, mit denen Sie wahrscheinlich jeder Frau kommen, bin ich immun.«
    »Nein, das war mein Ernst.«
    »Soso.«
    Wie sie so die Lippen spitzte, war wundersüß. In dem Moment wurde uns der Kaffee gebracht. Sie hatte irgendwas in einem hohen Glas mit jeder Menge Milchschaum drauf. Für mich war der Mokka. So wie immer. Ich zuckerte ausgiebig, Richtung wundersüß. Nach einem ersten Nippen gings weiter.
    »Es war doch Ihre Namensgeberin, die dem Heiland auf seinem Weg nach Golgatha hinauf das Schweißtuch reichte. Das jetzt in einer Säule im Petersdom als heiligste Reliquie der Christenheit verwahrt wird.« Ich nahm einen kleinen Schluck. Sie auch.
    »Außerdem ist der Name selbst auch sehr schön. Berenike bedeutet auf Griechisch ›die Siegbringerin‹. Das wurde dann, wahrscheinlich unter dem Einfluss der biblischen Szene, zu Veronika, das ›wahre Bild‹. Oder irre ich mich?«
    »Bruder Erich hat mich vor Ihnen gewarnt.«
    »Da tat er gut daran.« Werbung ist Werbung, nur der Name muss richtig geschrieben sein, wie Flavio Briatore immer sagt.
    Sie lächelte wieder, diesmal ein bisschen mehr, so dass ein wenig ihrer weißen Zähne zu sehen war.
    »Eine meiner Lieblingsgeschichten von Poe trägt auch diesen Namen.«
    »Ach so? Ich lese keine profanen Schriften«, erwiderte sie kokett.
    »Ora et labora.«
    »Genau. Vor allem labora. Haben Sie mir nicht etwas mitgebracht?«
    »Sicher.«
    Ich griff unter den Tisch zu meiner alten Tasche, die mir Kurti damals geschenkt hatte, und hob sie zu mir auf die Sitzbank. Ich klappte die Messingbügel auf und holte die Papiere hervor, die ich vor sie auf den Tisch legte. Sofort war ihre ganze Aufmerksamkeit in Beschlag genommen und sie blätterte aufmerksam und schnell lesend durch die Seiten. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass Erich kein Leichtgewicht schicken würde,
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