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Seelenschacher

Seelenschacher

Titel: Seelenschacher
Autoren: Martin Mucha
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Mit der Zeit fraß die Idee von der Implosion aber mein ganzes Leben auf. Besessenheit nennt man sowas. Ich investierte Geld, das ich nicht hatte, das flog auf und die Maschine funktionierte immer noch nicht. Ich verlor meine Stellung. Meine Frau betrog mich. Zuerst fiel es mir überhaupt nicht auf, aber dann wurde es mir plötzlich klar. Ich hatte nie jemandem von meiner Arbeit erzählt, weder Neumann noch Buehlin. Doch eines Tages wusste Buehlin davon. Meine Frau hatte es ihm erzählt. Dann passierte der Unfall, es gab eine Explosion. Mein Haus verbrannte, genauso wie meine Frau.«
    »Sie haben sie umgebracht.«
    »Vielleicht. Auf jeden Fall sitz’ ich seit damals in dem Rollstuhl. Buehlin fing auch an, mit der Implosion herumzuspielen. Ich konnte an ihm die ganze Entwicklung beobachten, die auch an mir vorgegangen war. Schließlich hatte er Erfolg, aber jetzt ist auch er tot.«
    »Spielen Sie auf Zeit, Hausser?« Sein Redefluss hatte mich die ganze Zeit über schon nachdenklich gestimmt. Warum erzählte er mir das alles?
    »Sie haben doch draußen im Hof eine SMS geschrieben?« Er blickte mich verdutzt an.
    »An Kana, denke ich.«
    »Der wird gleich hier sein. Du kommst nicht mehr raus, du Arsch.« Triumphierend.
    »Kana wird nicht kommen. Der sitzt schon.«
    Sein böses Grinsen verschwand. Er war unsicher.
    »Ich war schneller, Hausser. Kana ist Geschichte, genauso wie Korkarian.«
    Kleine Kunstpause.
    »Ohne Kana werden Sie auch nie mehr an Neumann herankommen. Der wird bis zum letzten Tag eiskaltes Bier trinken und nicht kapieren, mit was er da seine kleinen Freunde kühlt.«
    Es klingelte. Hausser lächelte triumphierend, aber da täuschte er sich.
    »Das ist die Polizei, Hausser, Kana hat sicher gesungen, und wenn ich mir das recht überlege, dann war der Mann gar nicht fähig, die Schuldverschreibungssache allein durchzuziehen. Da haben Sie auch Ihre Finger drin. Fein.«
    Ich stand auf, ging zur Tür und ließ den alten Mann sitzen. Die Schusswaffe ließ ich auf dem Tisch liegen. Es klingelte noch einmal. Als ich die Tür hinter mir schloss, dröhnte ein Schuss durch die papierdünne Tür. Es war vorbei. Unten ging die Tür auf, ich drückte mich in ein Eck, und nachdem Molnar und Moratti an mir vorbeigerannt waren, ging ich langsam die Kellertreppe hinunter und durch die Waschküche nach draußen.

III
    Die Zeit für das Treffen im Sperl rückte unaufhaltsam näher. Mittlerweile fühlte ich mich rechtschaffen müde. Ohne die Aufregung kam ich mir vor wie eine ausgelutschte Weintraubenhaut, die weggeworfen auf der Straße liegt. Mehr aus Verantwortungsbewusstsein heraus als aus wirklichem Hunger blieb ich bei einem Dönerstand stehen und kaufte mir einen. Wo das war, kann ich nicht mehr mit Sicherheit sagen, und ob er geschmeckt hat, auch nicht. Alles, was mir in Erinnerung geblieben ist, war das ausgezeichnete Deutsch des Budeninhabers, bis auf die bei jedem Dönerkauf gestellte Frage: »Mit alles?« Mir scheint, irgendwo sitzen die auszubildenden Dönerverkäufer in einem Lehrsaal, und der Professor schimpft: »Herr Dr. Mutlu, wie oft soll ich Ihnen noch sagen, das heißt ›mit alles‹.«
    »Aber die deutsche Grammatik verlangt in diesem Fall den Dativ.«
    »Dr. Mutlu, Sie sind ein präpotenter Störfaktor. Es handelt sich hier nicht um eine Frage der Grammatik, sondern der ›corporate identity‹. Wenn Sie so weitermachen, dann lass ich Sie durchrasseln. Haben wir uns verstanden? Und jetzt alle gemeinsam!« Daraufhin der Chor: »Mit alles.«
    Unter solchen Überlegungen war ich in mein Büro gekommen, hatte mir die Tarnpapiere für Erich geholt und war dann zum Sperl gefahren.
    Das Sperl ist eines der ganz alten Kaffeehäuser in Wien. Tief in der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts gegründet, konnten es weder Welt- noch Bürgerkriege, Finanzkrisen noch Starbucks in seiner Existenz bedrohen. Es liegt an der Ecke Gumpendorferstraße und Lehargasse. Auf der Leharseite finden sich ein paar Bäume im steinernen Rundherum und dort stehen für gewöhnlich auch ein paar Stühle draußen. Ich mags lieber drinnen. Schöne Täfelung, matter Glanz und ziemlich gemütliche, gutbürgerliche Atmosphäre. Ich pflanzte mich in eine der Fensternischen und wartete. Erich schien sich etwas zu verspäten, mein Handy zeigte schon 18:01. Sonst war der Mann die Pünktlichkeit in Person. Es lagen noch ein paar Zeitungen auf, ich schnappte mir eine und begann zu lesen.
    Österreichische Innenpolitik ist eine faszinierende
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