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Seelenrächer

Seelenrächer

Titel: Seelenrächer
Autoren: G O'Carroll
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der Anwalt fest. »Fast schon kapriziös. Eine Geschichte, wie selbst Sean O’Casey sie nicht dramatischer hinbekommen hätte. Schließlich leben wir hier in der Geburtsstadt des großen irischen Dramatikers.« Er gestikulierte ausladend. »Eine moderne Juno. Ein wahrer Odysseus.« Plötzlich verdunkelte sich seine Miene beträchtlich. »Wie auch immer man das Ganze beschreiben will, es handelt sich um reine Fiktion!«
    Ein paar Momente war im Gerichtssaal kein Geräusch zu hören. Niemand bewegte sich, niemand hustete. Es schien nicht einmal jemand zu atmen.
    »Euer Ehren«, wandte sich Phelan an den Richter, »das sogenannte Geständnis wurde von einem eloquenten Polizisten geschrieben und die Unterschrift mit Gewalt erzwungen. Der Angeklagte wurde so oft und so schwer geschlagen, dass er schließlich Wort für Wort niederschrieb, was ihm gesagt wurde.« Wieder hielt er einen Moment inne, wobei er die Lippen zu einem schmalen Strich zusammenpresste. »Und anschließend wurde er genötigt, seine Unterschrift darunterzusetzen.«
    Unbehagen machte sich im Zuschauerraum breit. Der Richter griff nach seinem Hammer. Doyle, der einen schnellen Blick zu Quinn hinüberwarf, wurde eine Spur blasser. Er hakte einen Finger in seinen Hemdkragen, als wäre er ihm plötzlich zu eng.
    Phelan nahm eine Reihe von Fotografien von seinem Pult. Zusammen mit ärztlichen Berichten reichte er sie zur Richterbank vor. »Das hier sind die Aufnahmen, die im Krankenhaus gemacht wurden«, erklärte er, »und hier sind ein paar, die der Angeklagte vierundzwanzig Stunden vor seiner Verhaftung gemacht hat. Darauf können Sie deutlich sehen, dass sein Körper vor dem Gespräch mit den Polizeibeamten keine Spuren von Gewalt aufwies.« Eindringlich musterte er Doyle. Der wuchtige Mann hielt seinem Blick nicht stand, sondern sah stattdessen zu Quinn und Frank Maguire hinüber, die jedoch ihrerseits seinem Blick auswichen. »Conor wusste, dass die Beamten es auf ihn abgesehen hatten«, fuhr der Anwalt fort. »Seit Jahren suchten sie schon nach einem Vorwand, und Conor war klar, was passieren würde, sobald sie einen fanden.«
    Der Verteidiger ließ seine Worte erst ein wenig nachwirken, ehe er sich erneut den Geschworenen zuwandte.
    »So, Conor«, sagte er, »nun erzählen Sie dem Gericht doch mal genau, wie das abgelaufen ist. Und zwar diesmal mit Ihren eigenen Worten.«
    Maggs wechselte die Sitzposition und riskierte dabei einen Blick in Richtung Doyle, der ihn mit finsterer Miene anstarrte. Maggs’ Blick wirkte gehetzt, die Haut um seine Augen verknittert. Er wandte sich dem Zuschauerraum zu. Quinn sah, wie sein Blick an Eva hängen blieb. Einen langen Moment fixierte Maggs sie, dann schloss er die Augen und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Kopfschüttelnd zog er die Schultern hoch. Als er schließlich zu sprechen begann, klang seine Stimme zittrig.
    »Die Metalltür stand einen Spalt offen«, begann er. »Zunächst bemerkte ich es gar nicht, und als es mir schließlich doch auffiel, musste ich erst ein zweites Mal hinsehen. Ich begriff nicht: Warum stand die Tür ein Stück offen? Sonst war sie immer entweder ganz geöffnet oder abgesperrt. Niemals stand sie nur einen Spalt offen. Hinzu kam die Stille. Diese Stille war ebenfalls neu und äußerst seltsam. Während ich auf dem schmalen Bett mit der dünnen Matratze und dem einen Kissen saß, gleich neben dem kleinen Waschbecken und der Toilette ohne Sitz, empfand ich die Stille plötzlich als richtig beängstigend. Es war Mitternacht, und ich war aufgewacht, weil durch die Tür ein Streifen Licht hereinfiel. Sie hatten nichts in der Hand, ich meine, keine Beweise, nicht die Spur von irgendetwas, das mich mit dem mir zur Last gelegten Verbrechen in Verbindung gebracht hätte. Trotzdem wollten sie es mir in die Schuhe schieben, sie brauchten mich als Täter – insbesondere Doyle mit seinem ganzen Hass, aber auch Quinn.
    Und dann, als Bestätigung meiner schlimmsten Befürchtungen, hörte ich plötzlich die Schritte eines schweren Mannes. Ich wusste, wer es war. Nicht Quinn. Nein, der würde sich die Hände nicht schmutzig machen. Ich begann zu zittern. Dieser schreckliche Traum, aus dem ich nicht aufwachen konnte, entwickelte sich allmählich zu einem Alptraum. Mir war klar, was passieren würde, denn ich wusste, wie sie vorgingen, wenn sie nicht bekamen, was sie wollten. Ich konnte mir genau vorstellen, wie sie die Wahrheit verdrehen würden, ihre eigene Wahrheit schaffen würden, bis sie
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