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Seelenrächer

Seelenrächer

Titel: Seelenrächer
Autoren: G O'Carroll
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stehst das schon durch«, antwortete Patrick sanft, »genau wie alles andere braucht es seine Zeit, aber du schaffst das.«
    »Ich bin mir da nicht so sicher. Wirklich, Pad, ich bin mir da nicht so sicher.«
    »Du schaffst das, Eva, das verspreche ich dir. Du musst dir nur die Zeit zugestehen, die dafür nötig ist.«
    »Das geht doch nun schon sechs Monate so«, rief sie ihm ins Gedächtnis. »Moss ist kurz vor dem Prozess gegen Conor Maggs ausgezogen, und die … die Wahrheit ist, dass ich gar nicht mehr so recht weiß, was ich will. Ich weiß nicht, ob es von dort, wo wir inzwischen stehen, überhaupt noch einen Weg zurück gibt.«
    Während sie ins Wohnzimmer hinüberging, erhaschte sie einen weiteren Blick auf ihr Spiegelbild im Fenster. »Ich hasse mich für das, was ich den Mädchen damit antue«, fuhr sie fort, »ich meine, zusätzlich zu Dannys Tod und alledem. Aber ich kann einfach nicht anders.« Mittlerweile konnte sie die Tränen kaum noch zurückhalten.
    »Ich überlege sogar schon«, fügte sie zögernd hinzu, »ob ich nicht nach Kerry zurückgehen soll.«
    Es dauerte einen Moment, ehe er antwortete. »Wirklich?«
    »Da sind meine Mam und meine Schwestern, und nach allem, was hier passiert ist, komme ich mit Dublin nicht mehr zurecht.«
    »Und was ist mit Moss?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht lassen wir uns scheiden.«
    So, nun war es raus: Endlich hatte sie ausgesprochen, was sie schon die ganze Zeit dachte. Mehr aber konnte sie an diesem Abend nicht dazu sagen. Nachdem sie sich von Paddy verabschiedet und aufgelegt hatte, trat sie ans Fenster. In dem dunklen Glas wirkte sie wie eine zerbrechliche Statue. Sie konnte nur noch an ihren Sohn denken. Obwohl sie zwei Töchter hatte, die sie dringender brauchten denn je, sah sie nur noch Danny.
    Sie konnte ihn nicht so zurücklassen. Auf keinen Fall konnte sie ihn so allein lassen – nicht ohne ein paar Worte und nicht ausgerechnet an diesem Tag: Am Nachmittag hatten sie keine Zeit füreinander gehabt, und es gab so vieles, was sie ihm sagen wollte.
    Im Schutz der Dunkelheit stand er auf der anderen Straßenseite, wie er ein paar Stunden zuvor zwischen den Grabsteinen gestanden hatte. Über der Stadt waren die Wolken aufgerissen, und Mondlicht ergoss sich auf den schmutzigen Gehsteig. Wasserpfützen säumten die Randsteine, wie sich auch entlang der Friedhofswege Pfützen gebildet hatten. Er hatte beobachtet, wie sie mit den Leuten umging. Obwohl sie es gegenüber niemandem an Höflichkeit oder Freundlichkeit mangeln ließ, wusste er, wie verzweifelt sie war. Er hatte sie zusammen mit ihrem Mann gesehen, zusammen und doch getrennt. Die Distanz zwischen den beiden war fast greifbar gewesen.
    Nun betrachtete er ihre Silhouette im Wohnzimmerfenster.
    Eva hasste sich selbst dafür, dass sie die Mädchen allein ließ, aber sie konnte diesen Tag nicht beschließen, ohne einen ungestörten Moment bei ihrem Sohn verbracht zu haben. Nachdem sie kurz gelauscht hatte, ob von oben etwas zu hören war, schnappte sie sich ihren Autoschlüssel und steuerte auf die Haustür zu.
    Es hatte zu regnen aufgehört, doch die Luft war immer noch feucht, und die Allee lag im Dunkeln. Die dreistöckigen georgianischen Häuser standen Schulter an Schulter, grauer Stein und grauer Schiefer. Straßenlampen beleuchteten Treppen und Geländer, während die parkenden Autos halb von den dicken Stämmen der Kastanienbäume verdeckt wurden. Sie warf einen raschen Blick zu den Schlafzimmerfenstern ihrer Töchter hinauf: Sie würde nicht lange weg sein, höchstens eine halbe Stunde. In einer halben Stunde konnte nichts passieren. Hinterher fühlte sie sich bestimmt besser, und die Mädchen brauchten nie zu erfahren, dass sie überhaupt weg gewesen war. Während sie zu ihrem Wagen hinüberging, spürte sie trotzdem, dass es falsch war, sehr falsch sogar, und alles andere als rational. Beinahe hätte sie kehrtgemacht. Aber Danny rief sie zu sich. Ihr Sohn rief nach ihr, wie er nie zuvor nach ihr gerufen hatte.
    Er sah, wie sie auf der Treppe kurz innehielt. Er beobachtete, wie sie in ihren Wagen stieg, den Motor anließ und mit einem kurzen Blick hinauf zu den Fenstern im ersten Stock die Scheinwerfer anschaltete. Dann fuhr sie aus der Parklücke, gab Gas und steuerte in schnellem Tempo auf die Hauptstraße zu. Ohne zu blinken, bog sie ab. Während er zwischen den Bäumen hervortrat, blieb sein Blick am Haus hängen: Oben war alles dunkel, unten aus der Diele fiel Licht.

Sonntag, 31.
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