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Seelenrächer

Seelenrächer

Titel: Seelenrächer
Autoren: G O'Carroll
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sich auf sie. An ihrem Mund spürte sie jetzt die Blumen, an der Wange die scharfkantigen Steinchen. Als er sie auf den Rücken rollte, riss sie die Hände hoch: »Bitte«, rief sie, »bitte nicht! Bitte, was wollen Sie von mir?«
    »Keinen Laut!«, zischte er. Seine Worte waren nur ein kehliges Krächzen, doch irgendetwas sagte ihr, dass sie die Stimme schon einmal gehört hatte. »Kein Wort jetzt, oder ich bringe dich um.« Erneut hielt er ihr den Mund zu, während sein formloser Kopf sich dicht über sie beugte. »Ich trete dir sonst den Schädel ein, hörst du? Genau hier, auf dem Grab deines Sohnes, trete ich dir den Schädel ein.«
    Sie sah nur einen Schatten. Wer auch immer das sein mochte – dort, wo eigentlich sein Gesicht sein sollte, war kein heller Fleck. Alles an ihm wirkte dunkel, offenbar trug er eine Maske.
    Sie lag da, seine Faust zwischen den Zähnen, so dass sie nur ein erbärmliches Gurgeln herausbekam. Bewegen konnte sie sich auch nicht. Sie fühlte sich wie gelähmt, als würde ihr das Blut in den Adern stocken. Dann schienen ihre Muskeln plötzlich zu neuem Leben zu erwachen, und sie versuchte sich aufzurichten. Mit einer heftigen Bewegung stieß er sie zurück auf den Boden. Sie trat nach ihm, woraufhin er ihr auf den Mund schlug. Erneut warf er sich auf sie und starrte sie durch die schmalen Sehschlitze einer Skimaske an. Die Angst in ihren Augen erregte ihn. Er drückte seine Lippen auf die ihren.
    Er konnte nicht anders – Lust überkam ihn. Er küsste sie durch die Maske hindurch. Als er dort, wo er ihr die Lippe aufgeschlagen hatte, Blut schmeckte, verdrehte er die Augen, packte eine Handvoll von ihrem Haar und wischte sich damit das Blut von der Maske. In dem Moment sah er das goldene Funkeln an ihrem Hals.
    Die Kette mit dem Anhänger: das heilige Herz Jesu, durch eine Dornenkrone zum Bluten gebracht. Sanft strich er mit dem Ballen seines Daumens ein paar Mal darüber. Dann riss er das Herz von der Kette.
    Nachdem er es in eine Tasche gestopft hatte, zog er eine Rolle Klebeband heraus, riss einen Streifen ab, drehte Evas Kopf zur Seite und klebte ihr den Mund zu. Anschließend fesselte er sie mit dem Band an Händen und Füßen. Die Sterne waren inzwischen von Wolken verhüllt, und es begann zu regnen. Einen Moment lang sah er ihr ins Gesicht. Sie war jetzt völlig hilflos. Er entfernte sich ein paar Schritte und holte den Anhänger wieder heraus. Der Friedhof lag still und verlassen da, nur die Geister derer, die nicht schlafen konnten, nahmen von dem Geschehen Notiz.
    Eva zitterte vor Angst, aber auch vor Abscheu. Sie empfand Abscheu vor sich selbst, weil sie zugelassen hatte, dass so etwas passieren konnte. Sie hätte Laura und Jessie nicht allein lassen dürfen. Verzweifelt starrte sie auf den Grabstein mit dem Namen ihres Sohnes, der hier unter der Erde lag. Die Tränen schnürten ihr die Kehle zu, so dass sie kaum noch Luft bekam. Rotz lief aus ihrer Nase über das Klebeband auf ihrem Mund. Sie hörte das schabende Geräusch von Leder auf Stein, dann war er wieder über ihr.
    Ihre Tränen fühlten sich an wie Glassplitter. Sie konnte den Grabstein nicht mehr sehen und ebenso wenig das Gras oder die zerdrückten Blumen, auf denen er sich an sie presste.

Sonntag, 31. August, 22:05 Uhr
    Moss Quinn saß noch immer an seinem Schreibtisch und blätterte in den Seiten von Marys Akte.
    Erneut fühlte er sich in den Gerichtssaal zurückversetzt und sah vor seinem geistigen Auge Conor Maggs, der mit gesenktem Kopf zu Ende las. Sehr langsam und bewusst legte Maggs das unterschriebene Geständnis an den Rand des Zeugenstands. Dann warf er einen raschen Blick zu Phelan, seinem Verteidiger, hinüber.
    »Vielen Dank, Conor«, ergriff dieser das Wort.
    Nachdem der Anwalt ein paar Sekunden lang die auf seinem Pult liegenden Notizen studiert hatte, wandte er sich den Geschworenen zu, sah jedem von ihnen einen Moment in die Augen und ließ den Blick dann weiterschweifen, vorbei am Vertreter der Staatsanwaltschaft bis hin zu der Stelle, wo die Beamten saßen, die den Fall vor Gericht gebracht hatten. Quinn spürte, wie das Gewicht dieses Blickes kurz auf ihm lastete, sich dann aber sofort auf Sergeant Doyle heftete. Doyle, der ursprünglich aus Kerry kam, war ein großer, kräftig gebauter Mann. Mit seinen fünfzig Jahren hatte er ein Gesicht wie aus altem Leder. Seine Augen leuchteten kobaltblau, und das kurzgeschnittene graue Haar stand ihm stachelig vom Kopf ab.
    »Höchst poetisch«, stellte
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