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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition)
Autoren: Ralf Mickholz
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überhaupt nicht. Und dann dieses heilige Getue! Wie oft hatte er sich – ohne daß seine Eltern etwas davon erfahren hatten – mit seinesgleichen im Dreck gewälzt und gerauft. Seine kräftige Statur forderte es geradezu heraus, das Leben in vollen Zügen auszureizen. Mit Vorliebe verschlang er alles über den Bau von Brücken. Er hatte gerade damit begonnen, eine Sammlung anzulegen, die alle verfügbaren Zeichnungen und Pläne von stählernen Konstruktionen und Gebäuden in Europa enthalten sollte, als sein Vater plötzlich starb. Von da an hatte sein Onkel, der Bischof, seine Erziehung übernommen und ihm verboten, weiterhin seine Zeit mit solchem Unfug zu verschwenden. Für ihn war es selbstverständlich, daß der Junge einmal in den Dienst der Kirche treten würde. Von seiner Mutter war keine Hilfe zu erwarten, sie war froh, daß ihr jemand zur Seite stand.
    Damit war sein Traum, Ingenieur zu werden und irgendwann selbst einmal einen dieser gigantischen Stahlkolosse zu bauen, für immer ausgeträumt. Von da an zwang man ihn, Tag für Tag in dunklen Bibliotheken zu sitzen und zusammen mit diesen blutleeren Kommilitonen endlose Abhandlungen über katholische Theologie zu studieren. In Seminaren mußte er wieder und wieder mit den frömmelnden Schwätzern über Dinge diskutieren, die ihm eigentlich abgrundtief egal waren.
    Dieses ewige, leere Gerede. Liebend gern hätte er einen dieser blassen Klugschwätzer am Kragen gepackt, wenn es mal wieder um die Frage ging, wer von ihnen denn wohl am frömmsten und salbungsvollsten sprechen und den heiligsten Gesichtsausdruck machen konnte! Wie Weiber waren sie hin und her stolziert ...
    Und jetzt? Jetzt war er zwar weit weg von all dem, an diesem einsamen Ort. Aber er spürte bis hierher diesen fürchterlichen, unsichtbaren Zwang, der von ihm verlangte, die Rolle eines Musterpfarrers zu spielen. Nicht auszudenken, wenn sich sein vollgefressener Vorgesetzter bei seiner Familie beschwerte.
    Wie lange soll das noch so weitergehen?
    In Gedanken versunken wandte er sich nach links, dem Kircheneingang zu. Es täte ihm jetzt gut, sich einen Augenblick still in eine Bank zu setzen und den Frieden und die Ruhe in sich aufzunehmen.
    Wie ein Burgtor war die eisenbeschlagene, zweiflügelige Tür in die massige Außenmauer der Kirche eingelassen.
    Eine Trutzburg des Guten im Zentrum dieses verwunschenen Ortes!
    Sein neues Gotteshaus war keines dieser schlanken, gotischen Schönheiten, sondern ein gedrungener, wehrhafter Quaderbau mit einem wuchtigen, viereckigen Glockenturm, der nicht höher war, als die zweistöckige Villa des Abbé Saunière nebenan.
    Vor fast tausend Jahren hatte man die Dorfkirche der Maria Magdalena geweiht. 1059 las er an einer vermoosten Stelle neben der Tür. Der Eingang zur Kirche war verwildert. Auf den Stufen hatte sich kräftiges Unkraut breitgemacht, das ihm fast bis zu den Knien reichte. Der Wind hatte Blätter und Gräser zu kleinen Häufchen zusammengeschoben. Jeder Winkel des Portals war mit einem dicken Moospolster bedeckt. Selbst die oberhalb der Eingangstür angebrachte Statue der Maria Magdalena war von dieser langsam dahinkriechenden Masse fast gänzlich eingeschlossen.
    Seltsam, hier auf den Stufen hat monatelang niemand mehr sauber gemacht. Und dort, nur wenige Schritte entfernt, dieses tadellose Blumenbeet.
    Als Pierre seine Hand auf die geschmiedete Türklinke legte, bemerkte er, daß das Türschloß dem am Pfarrhaus glich. Es war aber noch größer, fast wie das eines Burgtores. Welche Schätze mochte es ausgerechnet hier, in einer Kirche am Ende der Welt, geben, daß man sie so sicher verwahren mußte?
    Er drückte die schwere Klinke ein wenig nach unten, als diese ein seufzendes Geräusch von sich gab. Er hielt inne. Oder wurde in der Kirche etwas eingeschlossen, das daran gehindert werdensollte, diese Mauern zu verlassen? Eine durchdringende Angst begann ihn zu beschleichen, als er in seiner Handfläche plötzlich ein Brennen verspürte. Die Tür war verschlossen. Er machte einen tiefen Atemzug. Dieser Ort hatte etwas Seltsames, etwas abgrundtief Unheimliches. Noch nie hatte er an einer Kirche, dem Haus seines Gottes, ein derartig beklemmendes Gefühl gehabt.
    Woher kommt dieser faulige Geruch? Ein kalter Hauch strich um seine Glieder und alle seine Nackenhaare begannen sich zu sträuben. Ja ... es ist da ... ich kann es genau fühlen ... und es will mich täuschen ... so, wie es all die anderen getäuscht hat. Die Innenfläche seiner
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