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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht
Autoren: D Harkness
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zurückgezogen hatte, war ich fester entschlossen denn je, dort zu bleiben.
    Ich packte meinen Computer und meine Notizen zusammen, dann
griff ich nach dem Manuskriptstapel, wobei ich Ashmole 782 absichtlich zuunterst legte. Zum Glück saß Gillian nicht an ihrem Schreibtisch, obwohl ihre Papiere überall verstreut lagen. Offenbar hatte sie vor, bis tief in die Nacht zu arbeiten, und war jetzt unterwegs, um sich eine Tasse Kaffee zu besorgen.
    »Fertig?«, fragte Sean, als ich vor der Ausleihtheke stand.
    »Nicht ganz. Ich würde die obersten drei gern für Montag reservieren.«
    »Und das Vierte?«
    »Mit dem bin ich fertig«, blökte ich und schob ihm die Handschriften zu. »Das kann wieder ins Magazin.«
    Sean legte es oben auf den Rückgabestapel. Er begleitete mich noch zur Treppe, verabschiedete sich dort von mir und verschwand dann hinter einer Schwingtür. Das Förderband, das Ashmole 782 in die Eingeweide der Bibliothek zurücktransportieren würde, lief rasselnd an.
    Um ein Haar hätte ich kehrtgemacht und ihn aufgehalten, aber ich konnte mich beherrschen.
    Ich hatte gerade die Hand erhoben, um die Tür im Erdgeschoss aufzustoßen, als sich die Atmosphäre um mich herum verdichtete, fast als würde die Bibliothek mich erdrücken wollen. Einen Sekundenbruchteil lang schimmerte die Luft, so wie die Seiten der Handschrift auf Seans Theke geschimmert hatten. Ich schauderte unwillkürlich und spürte, wie sich die Härchen an meinen Armen aufstellten.
    Irgendetwas war passiert. Etwas Magisches.
    Mein Gesicht wandte sich wie von selbst dem Lesesaal zu, und meine Füße drohten zu folgen.
    Das bildest du dir nur ein, dachte ich und marschierte entschlossen durch die Tür.
    Bist du sicher?, flüsterte eine seit Langem zum Schweigen verdammte Stimme.

2
    D ie Glocken von Oxford schlugen sieben Mal. Die Nacht folgte der Dämmerung nicht mehr so gemächlich wie noch vor ein paar Monaten, aber noch zog sich der Wechsel über eine ganze Weile hin. In der Bibliothek waren erst vor dreißig Minuten die Lampen eingeschaltet worden, die jetzt kleine goldene Teiche in das graue Halbdunkel zauberten.
    Es war der einundzwanzigste September. Überall auf der Welt trafen sich an diesem Abend der herbstlichen Tagundnachtgleiche die Hexen zu einem Festmahl, um Mabon zu feiern und die hereinbrechende Dunkelheit des Winters zu begrüßen. Doch die Hexen von Oxford würden ohne mich auskommen müssen. Man hatte mich auserkoren, im nächsten Monat bei einer wichtigen Konferenz ein Grundsatzreferat zu halten. Meine Ideen waren noch unausgereift, und das machte mich zusehends nervös.
    Schon bei dem Gedanken, was meine Mithexen jetzt wohl irgendwo in Oxford speisen würden, begann mein Magen zu knurren. Seit halb zehn saß ich jetzt in der Bibliothek und hatte mir nur eine kurze Mittagspause gegönnt.
    Sean hatte heute frei, und die Vertretung an der Ausleihtheke war neu. Sie hatte sich gespreizt, als ich ein halb verfallenes Manuskript angefordert hatte, und mich zu überzeugen versucht, stattdessen die Mikrofilmausgabe zu verwenden. Zum Glück hatte der Leiter des Lesesaales, Mr Johnson, sie gehört und war sofort aus seinem Büro gekommen, um einzuschreiten.
    »Bitte entschuldigen Sie, Dr. Bishop«, hatte er eilig beteuert und dabei die schwere, dunkel gerahmte Brille auf der Nase nach oben geschoben. »Wenn Sie dieses Manuskript für Ihre Forschungen brauchen,
werden Sie es natürlich bekommen.« Er verschwand, um das gesperrte Stück zu holen, und überreichte es mir, wobei er sich wortreich für die Unannehmlichkeiten und die neue Mitarbeiterin entschuldigte. Damit hatte ich dank meines Rufes als Wissenschaftlerin meinen Willen durchgesetzt und daraufhin den ganzen Nachmittag beschwingt und gut gelaunt gelesen.
    Zufrieden, dass ich so viel geschafft hatte, nahm ich die beiden aufgerollten Gewichte von den oberen Ecken des Manuskriptes und schloss es sorgsam. Nachdem ich am Freitag auf das verhexte Manuskript gestoßen war, hatte ich das Wochenende nicht mit Alchemie, sondern mit Routinearbeiten verbracht, um in die Normalität zurückzufinden. Ich hatte Finanzierungsanträge ausgefüllt, Rechnungen bezahlt, Empfehlungsschreiben verfasst und sogar eine Buchbesprechung fertiggestellt. Unterbrochen hatte ich diese Tätigkeiten mit häuslichen Ritualen wie Wäsche zu waschen, Unmengen von Tee zu trinken und mich an Rezepten aus ein paar Fernseh-Kochsendungen zu versuchen.
    Heute hatte ich mich den ganzen Tag so gut wie möglich auf
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