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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman
Autoren: Aufbau
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Großteil des Kopfes verbunden.
    Damals verstand ich noch nicht alles, wenn Russisch geredet wurde. Der Onkel Natschalnik * mit der Pelzmütze hob mich von der Bank, setzte mich neben sich, näher zum geheizten Ofen, und sagte etwas Tröstendes. Rings um den Ofen drängten sich die Jungen und blickten mit ernsten Erwachsenenaugen ins prasselnde Feuer. Bald darauf kochte auf der Herdplatte in einem großen kupfernen Teekessel das Wasser, und wir bekamen jeder eine Blechtasse und ein Stück Brot mit Zucker. Den Tee schüttete der grimmige Onkel Karabas mit dem Vollbart direkt aus dem Päckchen in den Teekessel, rührte dann mit einem riesigen Messer um und goss jedem etwas in die Tasse. Nach dem Teetrinken wurde uns Liliputanern befohlen, die Jacken anzuziehen und zuzuknöpfen und draußen austreten zu gehen. Danach packten uns die Männer ein, wickelten uns in die volkseigenen Steppdecken wie in Steckkissen und verwandelten uns gleichsam in Wickelkinder, in Bündel. Es waren sieben Bündel. Warum nicht neun? Wo waren die anderen beiden Jungen? Ich wusste nicht, wie ich fragen sollte. Vielleicht waren sie schwer verwundet oder beim Beschuss des Busses umgekommen.
    In der Dunkelheit nahmen die kräftigen Männer uns wie Säuglinge auf die Arme und trugen uns zu einem Flugzeug, das am Waldrand stand. Es war ein recht großes Flugzeug, wie mir damals schien. Zahlreiche Männer luden Kisten ein, die sie aus Lastautos einander zureichten. Wir vermummten Bündel wurden auch vonHand zu Hand weitergegeben, bis wir im Flugzeug waren.
    Im Flugzeug setzten sie uns in unserer Watteverpackung auf Holzbänke, die längs der Bordwände befestigt waren, und banden uns mit Stricken an ihnen fest. Zwischen den Bänken befand sich ein Gerüst für den Schützen, das wie eine Trittleiter aussah: vier bis zur Decke reichende Pfosten, in der Mitte ein Bretterpodest mit Stufen. Darüber war eine Luke ins Flugzeugdach geschnitten, in die ein großes Maschinengewehr montiert war. Auf beiden Seiten dieses Kampfgerüsts standen vom Boden bis zur Decke und von vorn bis hinten Gestelle mit stabilen Kisten, die durch Seile gesichert waren. Sie füllten bis auf die Durchgänge den gesamten Raum. Wahrscheinlich war das Flugzeug eilig von einer Passagier- in eine Frachtmaschine umgebaut worden. Die rechteckigen Fenster mit den abgerundeten Ecken waren von innen mit Metallplatten abgedeckt. Die Kabine wurde von zwei trübflackernden Glühbirnen beleuchtet. Die Arbeiten befehligte der oberste Onkel, neben dem ich im Bus gesessen hatte. Alle anderen Männer, einschließlich der Piloten, befolgten seine Befehle.
    Ich saß, an der Bank festgebunden, zu Füßen des Schützen und konnte von unten lediglich seine riesigen schwarzen Filzstiefel sehen.
    An alles, was im Flugzeug geschah, erinnre ich mich nur bruchstückhaft. Entweder verlor ich wegen meiner Verletzung ab und zu das Bewusstsein, oder sie hatten uns Kindern Schnaps in den süßen Tee getan, damit wir nicht herumzappelten.
    Wie unser Flugzeug abhob, weiß ich nicht mehr.Wahrscheinlich war ich benebelt von dem Gesöff. Ich erwachte von einem furchtbaren Schaukeln und Schlingern; gut, dass wir alle festgebunden waren, sonst wären wir über den Boden gekullert.
    Wie lange wir flogen, kann ich nicht sagen. Durch die MG-Luke drang schwaches Licht – wahrscheinlich wurde es schon Tag. Im Flugzeug ging etwas vor. Die Männer standen alle und hielten sich an dem Gerüst fest. Der Schütze auf seiner Leiter, direkt über mir, feuerte mit dem MG. Ich kapierte nicht gleich, dass er Feinde abwehrte, die unser Flugzeug verfolgten. Der Pilot versuchte den Angriffen auszuweichen, lavierte in der Luft, schwenkte mal nach links und mal nach rechts. In solchen Momenten hingen wir Bündel angeseilt in der Luft. Wie lange der ungleiche Kampf mit den Messerschmitts dauerte, weiß ich nicht. Ich tauchte wieder ab. Nach einer Weile sah ich mit meinem einen Auge, wie im Traum, dass sich die Treppe des Schützen dunkelrot färbte. Blut. Wo kommt das denn her?, dachte ich in meiner Entrücktheit. Da rutschte, dem Blut folgend, der Körper des Soldaten die Holzstufen herab. Sein Kopf war von einem Sprenggeschoss zerfetzt. Im Flugzeug begann es brandig zu riechen.
    Es war der erste Tod, den ich aus nächster Nähe sah, in Großaufnahme. Vielleicht war ich durch meine Verletzung noch benommen, oder ich hatte mich in den zweieinhalb Blockade-Monaten an den Tod gewöhnt. Jedenfalls hatte ich keine Angst, weder um mich noch um
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