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Schwingen der Lust

Schwingen der Lust

Titel: Schwingen der Lust
Autoren: Riccarda Blake
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Brechen eines Schwures.
    Aber Maggie konnte wirklich nicht mehr. Sie war ausgelaugt, leer gelutscht.
    Von ihrem Stuhl hinter dem alten wackligen Tisch beobachtete sie mit nach vorne hängenden Schultern, wie die letzten Besucher das kleine, fast schon baufällige Theater durch die provisorische und mit Graffiti besprühte Tür aus Sperrholz verließen.
    „Ich hätte gerne zwei Stück.“ Eine liebevolle und mitfühlende Frauenstimme von der Seite.
    Maggie drehte sich zu ihr herum. Es war Lydia, ihre beste Freundin. Die Schwangerschaft war schon lange nicht mehr zu übersehen und stand ihr außergewöhnlich gut. Ihr dabei nur leicht voller gewordenes Gesicht, an dem man gut ihre Shoshone-Abstammung erkannte, strahlte Fürsorge aus und Warmherzigkeit.
    „Du hast doch schon eines, Liebes“, sagte Maggie.
    „Na und“, erwiderte Lydia und legte dreißig Dollar auf den Tisch. „Sie sind einfach so tolle Geschenke.“
    Maggie wäre beinahe in Tränen ausgebrochen, zumal sie wusste, dass es um Lydia finanziell nicht viel besser stand als um sie. Nick, der Erzeuger ihres ungeborenen Kindes, hatte sie sitzen lassen, und in ihrem Zustand konnte sie ihre beiden Jobs als Kellnerin und Packerin auf dem Fischmarkt nicht mehr ausüben. Auch sie würde New York in den nächsten Wochen verlassen müssen, um wieder zu ihren Eltern in den Süden von Idaho zurückzukehren.
    „Oder du signierst sie mir, und ich heb sie mir auf“, sagte Lydia. „Und wenn du dann berühmt bist - und ich zweifle keinen Moment daran, dass das schon bald der Fall sein wird -, sind sie ein Vermögen wert.“
    Maggie seufzte und setzte dann ein Lächeln auf. Sie nahm zwei der Bücher, signierte sie und legte die Dollarscheine unter den Buchdeckel des oberen, ehe sie sie Lydia reichte. Noch mehr Schulden machten die Kuh jetzt auch nicht mehr fett. „Du brauchst das Geld für das Baby.“
    Lydia verzog unwirsch die Stirn und nahm die Bücher nicht entgegen.
    „Bitte, Lydia“, sagte Maggie. „Die Würfel sind gefallen. Mach es mir nicht noch schwerer.“
    Jetzt seufzte auch Lydia - und nahm die Bücher entgegen. „Du wirst mir fehlen, Maggie.“
    „Du mir auch.“
    „Sehen wir uns noch einmal, ehe du ganz abhaust?“
    Maggie nickte. „Ich komme noch mal vorbei. Versprochen.“
    Lydia beugte sich zu ihr herab und küsste sie zum Abschied auf die Wange, und erst als auch sie als Letzte gegangen war, räumte Maggie die restlichen Bücher sorgfältig in den Karton zurück, nahm ihre abgewetzte Handtasche (es war die einzige, die sie besaß) und trat von der winzigen Bühne in kleinen, müden Schritten ab, um das Gebäude über den Hintereingang zu verlassen, der nur aus einem mit altem Draht bespannten rostigen Rahmen bestand.
    Ihren Wagen, einen altersschwachen Mitsubishi Colt, hatte sie gleich daneben abgestellt, unter der einzigen funktionierenden Straßenlaterne der heruntergekommenen Seitengasse.
    Als sie den schweren Karton mit den Büchern ins Heck wuchtete, fühlte sie sich aus dem nächtlichen Dunkel der abgelegenen Häuserschlucht heraus beobachtet. Es war mehr ein Instinkt, bei dem sich einem die feinen Härchen im Nacken aufrichteten. Aber das war ganz normal hier in New York. Hier fühlte man sich immer beobachtet. Trotzdem beeilte sie sich einzusteigen, man konnte ja nie wissen.
    Nach vier eiligen und kläglich klingenden Versuchen zündete die verdammte Karre endlich, und der altersschwache Motor sprang an. Wenigstens etwas.
    Aus dem Radio dudelte mit sphärischem Knistern I could really use a wish right now von Eminem und Hayley Williams. Ja, ein Wunsch käme jetzt sehr gelegen; so zumindest hatte sie früher gedacht, aber mittlerweile glaubte Maggie nicht mehr an das Gute in Wünschen. Wünsche machten nicht nur nicht satt, sie machten im Gegenteil sogar hungrig und schufen nur noch weitere, neue Sehnsüchte. Sehnsüchte, die einem vor der Nase schwebten wie die Möhre vor der Schnauze des Esels, der auf ewig trabte und galoppierte und sie doch nie erreichte.
    Nein, soweit Maggie das aus ihrer eigenen Erfahrung beurteilen konnte, waren Wünsche und die daraus geborenen Sehnsüchte nur die Ursache für neuen Schmerz.
    Sie schnallte sich an, trat die ausgeleierte Kupplung so lange, bis sie endlich griff und legte dann mit einigen Schwierigkeiten den ersten Gang ein. Es war überhaupt nicht auszudenken, wenn jetzt auch noch der Wagen sie im Stich lassen würde; er war ihre einzige Möglichkeit, die Stadt zu verlassen. Nicht einmal mehr
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