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Schwesterlein, komm tanz mit mir

Schwesterlein, komm tanz mit mir

Titel: Schwesterlein, komm tanz mit mir
Autoren: Mary Higgins Clark
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das Eis, erklärte, er könne leider nicht zu ihr kommen, da er ausgehen müsse, und lotste sie zur Tür. Als sie fort war, noch immer etwas von «Vielleicht nächstes Mal» flötend, ging er schnurstracks an die Bar, mixte sich einen trockenen Martini und schüttelte bedauernd den Kopf.
    Er setzte sich auf das Sofa am Fenster, schlürfte den Cocktail, genoß seinen weichen, beruhigenden Geschmack und dachte über die junge Frau nach, die er um acht Uhr zum Dinner treffen würde. Ihre Antwort auf seine Annonce war ausgesprochen amüsant gewesen.
    Sein Verleger war begeistert von der ersten Hälfte des Buches, an dem er schrieb; er analysierte darin Menschen, die Bekanntschaftsanzeigen aufgaben oder beantworteten, ihre psychologischen Bedürfnisse und ihre Flucht in Phantasien bei der Art, wie sie sich selbst beschrieben.
    Sein Arbeitstitel lautete:
Bekanntschaftsanzeigen – Suche nach Gefährten oder Flucht vor der Realität?

4
    DONNERSTAG, 21. FEBRUAR
    D arcy saß an ihrem kleinen Tisch in der Eßecke, trank Kaffee und starrte aus dem Fenster auf die Gärten hinunter, ohne etwas zu sehen. Jetzt waren sie kahl und von noch nicht geschmolzenem Schnee gesprenkelt, aber im Sommer waren sie exquisit bepflanzt und makellos gepflegt. Zu den prominenten Besitzern der privaten Sandsteinhäuser, hinter denen sie lagen, gehörten Aga Khan und Katharine Hepburn.
    Erin liebte es, Darcy zu besuchen, wenn die Gärten blühten.
    «Von der Straße aus würde man nie vermuten, daß es sie überhaupt gibt», seufzte sie dann. «Wirklich, Darcy, du hast Glück gehabt, als du diese Wohnung gefunden hast.»
    Erin. Wo war sie? Gleich, als sie aufgewacht war und ihr bewußt wurde, daß Erin nicht angerufen hatte, hatte Darcy mit dem Pflegeheim in Massachusetts telefoniert. Mr. Kelleys Verfassung war unverändert. Der halbkomatöse Zustand, in dem er sich befand, konnte unbegrenzt anhalten; allerdings wurde Billy immer schwächer. Die Tagschwester wußte nicht, ob Erin gestern abend wie üblich angerufen hatte.
    «Was soll ich machen?» fragte Darcy sich laut. Sie als vermißt melden? Die Polizei anrufen und mich nach Unfällen erkundigen?
    Ein plötzlicher Einfall ließ sie erschauern. Angenommen, Erin hätte einen Unfall in der Wohnung gehabt …
    Sie hatte die Angewohnheit, mit ihrem Stuhl zu schaukeln, wenn sie sich konzentrierte. Angenommen, sie hätte die ganze Zeit bewußtlos dagelegen!
    Darcy brauchte drei Minuten, um in Hosen und einen Pullover zu schlüpfen und Mantel und Handschuhe überzustreifen. In der Second Avenue mußte sie quälende Minuten warten, ehe sie ein Taxi erwischte.
    «Christopher Street einhunderteins, und bitte, beeilen Sie sich.»
    «Alle sagen immer, ich soll mich beeilen. Ich sage, lassen Sie sich Zeit, dann leben Sie länger.» Der Taxifahrer zwinkerte in den Rückspiegel.
    Darcy wandte den Kopf ab. Sie war nicht in der Stimmung, mit dem Fahrer zu scherzen. Warum hatte sie nicht an die Möglichkeit eines Unfalls gedacht? Vorigen Monat, kurz vor ihrer Abreise nach Kalifornien, war Erin zum Abendessen vorbeigekommen. Sie hatten die Fernsehnachrichten angeschaut. Einer der Werbespots zeigte eine gebrechliche alte Frau, die gestürzt war und Hilfe herbeirief, indem sie das Notsignal berührte, das sie an einer Kette um den Hals trug.
    «So werden wir in fünfzig Jahren sein», hatte Erin gesagt. Sie hatte den Werbespot nachgeahmt und gestöhnt:
    «Hilfe! Hilfe! Ich bin hingefallen und kann nicht mehr aufstehen!»
    Gus Boxer, der Hausmeister von Christopher Street 101, hatte einen Blick für hübsche Frauen. Als er in die Halle eilte, um das ausdauernde Läuten an der Haustür zu beantworten, wich sein verärgerter Ausdruck daher schnell einem schmeichlerischen Lächeln.
    Was er sah, gefiel ihm. Das hellbraune Haar der Besucherin war vom Wind zerzaust. Es fiel ihr ins Gesicht und erinnerte ihn an die Filme mit Veronica Lake, die er sich spät in der Nacht ansah. Ihre hüftlange Lederjacke war alt, besaß aber die Klasse, die Gus inzwischen erkannte, seit er seinen Job in Greenwich Village hatte.
    Sein anerkennender Blick verweilte auf ihren langen, schlanken Beinen. Dann wurde ihm klar, wieso sie ihm bekannt vorkam. Er hatte sie ein paarmal mit 3B gesehen, Erin Kelley. Er öffnete die Flurtür und trat zur Seite. «Zu Ihren Diensten», sagte er in einem Ton, den er für gewinnend hielt.
    Darcy ging an ihm vorbei und versuchte, ihren Abscheu nicht zu zeigen. Von Zeit zu Zeit beklagte sich Erin über den
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