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Schwesterlein, komm tanz mit mir

Schwesterlein, komm tanz mit mir

Titel: Schwesterlein, komm tanz mit mir
Autoren: Mary Higgins Clark
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dieses Halsband, oder Sie bringen mir auf der Stelle die Juwelen meines Klienten zurück.»
    Jay fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er merkte, daß seine Hand, die den Hörer hielt, feucht war. Er hatte das Halsband ganz vergessen. Sorgfältig legte er sich seine Antwort zurecht. «Ich habe Miss Kelley vor einer Woche gesehen. Sie hat mir das Collier gezeigt. Es war hinreißend. Da muß ein Mißverständnis vorliegen.»
    «Das Mißverständnis besteht darin, daß sie das Collier nicht abgeliefert hat, und es wird am Freitag abend für eine Verlobungsparty benötigt. Ich wiederhole, morgen möchte ich das Halsband haben oder die Steine meines Kunden. Ich mache Sie dafür verantwortlich, daß eines von beiden geschieht.»
    Das scharfe Klicken, mit dem der Hörer aufgelegt wurde, hallte in Strattons Ohr wider.
    Michael Nash sah am Mittwoch nachmittag um fünf Uhr seinen letzten Patienten, Gerald Renquist. Renquist war pensionierter Manager einer internationalen pharmazeutischen Firma. Seine persönliche Identität war so stark mit den Intrigen und der Politik des Vorstandszimmers verknüpft, daß die Pensionierung ihm vorkam, als habe er jeden Status verloren.
    «Ich weiß, ich sollte eigentlich froh sein», sagte Renquist, «aber ich fühle mich so verdammt nutzlos. Selbst meine Frau zieht mich mit dem alten Scherz auf, sie habe mich für gute und für schlechte Tage geheiratet, aber nicht dazu, daß ich zum Mittagessen zu Hause bin.»
    «Sie müssen doch Pläne für ihre Pensionierung gehabt haben», meinte Nash milde.
    Renquist lachte. «Und ob. Nämlich, sie um jeden Preis zu verhindern.»
    Depression, dachte Nash. Unter den psychischen Krankheiten das, was unter den körperlichen ein gewöhnlicher Schnupfen ist. Er merkte, daß er müde war und Renquist nicht seine volle Aufmerksamkeit schenkte. Unfair, dachte er bei sich. Er bezahlt mich dafür, daß ich ihm zuhöre.
    Trotzdem war er spürbar erleichtert, als er um zehn vor sechs die Sitzung beenden konnte.
    Nachdem Renquist gegangen war, begann Nash abzuschließen. Seine Praxis befand sich im Eckhaus der 77.
    Straße und Park Avenue; seine Wohnung lag im neunzehnten Stock desselben Gebäudes. Er ging durch die Tür hinaus, die in die Halle führte.
    Die neue Bewohnerin von 19 B, eine Blondine Anfang Dreißig, wartete auf den Aufzug. Er unterdrückte seine Gereiztheit über die Aussicht, mit ihr nach oben zu fahren.
    Das unverblümte Interesse in ihrem Blick war ihm lästig, genau wie ihre fast unvermeidlichen Einladungen, auf einen Drink vorbeizukommen.
    Michael Nash hatte dasselbe Problem mit einigen seiner Patientinnen. Er konnte ihre Gedanken lesen. Gutaussehender Bursche, geschieden, keine Kinder, Mitte bis Ende Dreißig, zu haben. Zurückhaltende Reserviertheit war ihm zur zweiten Natur geworden.
    Zumindest heute abend wiederholte die neue Nachbarin ihre Einladung nicht. Vielleicht lernte sie dazu. Als sie aus dem Aufzug traten, murmelte er: «Guten Abend.»
    Seine Wohnung spiegelte die präzise Sorgfalt wider, mit der er alles in seinem Leben tat. Die elfenbeinfarbenen Bezüge der beiden Sofas im Wohnzimmer wiederholten sich an den Stühlen im Eßzimmer, die um den runden Eichentisch standen. Diesen Tisch hatte er auf einer Antiquitätenversteigerung in Bucks County erstanden. Die Teppiche wiesen gedämpfte geometrische Muster auf elfenbein-farbenem Hintergrund auf. Eine Wand war mit Bücherregalen bedeckt, auf den Fensterbänken standen Pflanzen, ein altes Waschbecken im Kolonialstil diente ihm als Bar.
    Überall waren hübsche Kleinigkeiten, die er auf Auslandsreisen entdeckt hatte, und gute Gemälde verteilt. Ein komfortabler, hübscher Raum.
    Küche und Arbeitszimmer lagen links vom Wohnzimmer, die Schlafzimmer und das Bad rechts. Eine angenehme Wohnung und eine attraktive Ergänzung des großen Hauses in Bridgewater, das Stolz und Freude seiner Eltern gewesen war. Nash war oft versucht, es zu verkaufen, aber er wußte, er würde das Reiten an den Wochenenden vermissen.
    Er zog sein Jackett aus und überlegte, ob er sich den Rest der 6-Uhr-Nachrichten oder seine neue CD anhören sollte, eine Mozart-Symphonie. Mozart gewann. Als die vertrauten Takte des Anfangs sanft den Raum füllten, läutete es an der Tür.
    Nash wußte genau, wer das sein würde. Resigniert ging er öffnen. Die neue Nachbarin stand da, einen Eiskübel in der Hand – der älteste Trick der Welt. Gott sei Dank hatte er noch nicht angefangen, seinen Drink zu mixen. Er gab ihr
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