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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise
Autoren: Berte Bratt
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daß ich Sie kennengelernt habe.“
    Eirin stotterte ein paar gleichgültige Worte hervor. Das letzte, was sie sagte, war so leise, daß Fredrikes vielleicht gar nicht verstand:
    „Denken Sie mal an mich, wenn Sie nach Neapel kommen.“
    Eirin und Halfdan gingen wieder an Bord zurück.
    Eirin fühlte eine sonderbare Leere in sich. Ihr war, als wenn jetzt etwas endgültig vorbei wäre, als wenn das letzte Band zerrissen wäre, das sie an Licht und Sonne und Wärme und junge, gedankenlose Freude knüpfte.
    Vor ihr lagen Kälte, ernsthafte Arbeit, Einsamkeit und Dunkel.
    Vor ihr lag Frostviken.

4
    Ein feuchter Wind peitschte grauen Schneeregen vor sich her. Von der Küste war nur ein schwacher Schimmer zu sehen, obwohl sie ganz nahe war.
    Frostviken hatte keinen Dampferanleger. Passagiere und Fracht wurden ausgebootet und mit einem Motorkutter an Land gebracht.
    Eirin bibberte vor Kälte. Halfdan stützte sie am Fallreep und hielt sie fest, bis sie im Motorboot ihren Platz gefunden hatte. Tante Bertha saß schon da. Sie hatte sich in alle verfügbaren Jacken und Schals gewickelt und über diesen Wust wärmenden Zeugs einen dicken Regenmantel gezogen. Sie war fast grün im Gesicht und bemühte sich verzweifelt, das entsetzliche Schaukeln und Schlingern des Bootes zu vergessen, das jetzt mit ihnen zur Küste töffte.
    Eirin war teilnahmslos. Eine große Leere und Müdigkeit erfüllten
    sie.
    „Unser Märchenland“, hatte sie gesagt, als sie Bergen verließen. Haha! Ein schönes Märchenland! Seegang, Wind, Regen, Schnee und Kälte - ach, sie fror bis ins Mark hinein.
    Und dann das schlechte Gewissen, das ihr tagsüber keine Ruhe und sie nachts nicht schlafen ließ. Wenn sie diesen Fredrik Branstad wegen seiner Dreistigkeit noch hassen könnte! Wenn sie sich aussprechen könnte - wenigstens bei Tante Bertha! Aber das war unmöglich. So blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu schämen, weil sie Halfdan nicht in die Augen sehen konnte und auch Tante Bertha nicht. Und das schlimmste von allem war, daß sie es so wunderbar fand, daran zu denken!
    Das Boot machte an einem Holzsteg fest. Tante Bertha und Eirin wurden an Land gehoben. Halfdan sah sich nach dem Gepäck um. Sie hatten viele Koffer bei sich. Die Möbel waren vorausgeschickt worden, so daß sie doch wenigstens in ein gemütliches, fertig eingerichtetes Haus kommen würden.
    Tante Bertha hatte mit Lina Skjarvik, der Haushälterin des vorigen Kreisarztes, Briefe getauscht und sie gebeten, sich um das Haus zu kümmern, bis der neue Arzt eintraf.
    Eirin klapperte vor Kälte, während sie herumstand und sich umschaute. Bei diesem scheußlichen Wetter waren nur wenige Leute an den Steg gekommen. Da waren schwerfällige, schweigsame, bedächtige Männer in Ölzeug, da waren ein paar strubbelige, rotnasige Kinder, und dann flitzte ein forsches Frauenzimmer mittleren Alters aus einem braunen Holzhaus heraus, an dem ein abgestoßenes Postschild prangte. Sie war in Strickjacke und Ölumhang gewickelt und verlangte den Postsack.
    Tante Bertha schaute Eirin an. Wie klein und spitz und mutlos sie aussah.
    „Frierst du, mein Kind?“
    Eirin lächelte krampfhaft.
    „Ein bißchen, ja - “
    „Jetzt dauert es nicht mehr lange. Ein paar Minuten noch, dann sind wir unter Dach, und im Doktorhaus ist es schön warm.“
    Doktorhaus! Wie anheimelnd das klang. Eirin sah es vor sich: ein langes, niedriges weißes Haus in einem großen alten Garten mit Buchsbaumhecken und Obstbäumen - ach nein, so hoch im Norden gab es sicher keine Obstbäume, aber irgendwelche Sträucher gab es doch wohl - und mit einem weißen Gartenzaun davor und einer Fahnenstange - und darin eine große, schöne, niedrige Stube. Vielleicht gab es auch einen schwedischen Kachelofen und einen behaglichen Kamin. Eirin glückte ein zaghaftes Lächeln. Es würde jetzt ja nicht mehr lange dauern, und sie ging in dem großen, geräumigen Haus herum und sah sich vor allem das Sprechzimmer an, wo sie zusammen mit Halfdan arbeiten würde. Sie mußte an „Männer in Weiß“ denken und an die „Zitadelle“, die sie gerade gelesen hatte. Sie sah vor sich ein blitzend sauberes Sprechzimmer mit weißem Instrumentenschrank; eine Tür aus geschliffenem Glas; blanke Glasborde für die Instrumente; eine Porzellankumme mit vernickeltem Handtuchhalter; angenehme indirekte Beleuchtung genau wie in dem Film, den sie kürzlich gesehen hatte. Und mittendrin Halfdan - ihr Halfdan, in weißem Mantel. - Sonderbar, sie hatte ihn noch
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