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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten
Autoren: Marcel Feige
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und das der Jahreszeit alles andere als angemessene Levis-Shirt. Klamotten, in denen er, wie er beiläufig feststellte, schon seit Dienstag herumirrte. Da fiel der fleckige, nach Bier und Schweiß stinkende Pullover, den ein betrunkener Obdachloser irgendwann einmal in der Ausnüchterungszelle vergessen hatte und den man jetzt Philip gegeben hatte, fast nicht mehr ins Gewicht. Da war noch die italienische Euromünze, die er in seiner Hosentasche getragen hatte, aber die hatten die Beamten bei der Ankunft auf dem Polizeirevier einbehalten, als man ihn einer Leibesvisitation unterzogen hatte.
    Für einen Anwalt würde die Münze wohl nicht reichen. Was kann man mit einem Euro schon anfangen!
    »Aber ich darf telefonieren?«
    »Nein«, beschied ihm Berger knapp.
    Philip wusste, dass der Beamte damit seine Kompetenzen überschritt, hielt es aber für klüger, den Mund zu halten. Wen hätte er auch anrufen sollen?
    »Damit, denke ich, hat sich Ihre Forderung fürs Erste erledigt. Sie bekommen einen Pflichtverteidiger, rechtzeitig. Zuvor aber reden wir. Nur Sie und ich.«
    »Worüber wollen Sie…?«
    »Herr Hader«, fiel ihm Berger ins Wort, »wir müssen hier nicht noch den Rest des Tages verbringen. Wir können das Prozedere gerne beschleunigen. Warum erzählen Sie mir nicht einfach, was am Dienstag passiert ist?«
    »Es ist nichts passiert.« Philip seufzte. Und das, was passiert ist, übersteigt Ihren Horizont.
    »Ist es nicht?« Berger griff einen der beiden Zettel in dem Ordner und hielt ihn hoch. »Wissen Sie, was das ist?«
    Philip beugte sich vor, doch so sehr er sich bemühte, das fahle Neonlicht in der Kombüse verwandelte den Tintenausdruck in ein unlesbares graues Einerlei. »Nein, das weiß ich nicht.«
    »Das sind die Ergebnisse des Bluttests, den wir nach Ihrer Festnahme heute Morgen vorgenommen haben.«
    »Aha«, meinte Philip und suchte erneut den blauen Fleck auf seinem Arm.
    Berger gab einen anerkennenden Pfiff von sich, doch wie sein maliziöses Grinsen verriet, meinte er das genaue Gegenteil. »Ganz schöne Menge Drogen, die Sie die letzten Wochen konsumiert haben. Und das in Ihrem Alter. Wissen Ihre Eltern davon?«
    »Ich hab keine Eltern mehr.«
    »Na, das stimmt nicht ganz. Unseren Akten zufolge lebt Ihr Vater noch.«
    »Für mich ist er schon lange gestorben.«
    »Streit gehabt?«
    Philip zuckte die Achseln. »Was wollen Sie von mir? Drogenkonsum ist nicht strafbar, nur der Besitz, Handel und die Herstellung.«
    »Sie haben Recht«, stimmte Berger zu. »Und ich bin überrascht, wie gut Sie sich mit den deutschen Gesetzen auskennen. Gegen den Konsum von Drogen besteht tatsächlich keinerlei rechtliche Handhabe.«
    »Worauf wollen Sie also hinaus?«
    Der Kommissar schichtete die beiden Zettel ordentlich übereinander, klappte den Ordner zu, schob ihn an den Tischrand, sah auf und holte tief Luft: »Philip, Sie werden wissen, Menschen neigen dazu, ihr Bewusstsein zu erweitern. Manche lesen dazu Bücher, andere betreiben Feng-Shui, und wieder andere nehmen Rauschmittel. Marihuana, Kokain, Speed, Ecstasy; Sie würden staunen, was die Kollegen von der Drogenfahndung so alles auf den Tisch bekommen. Die Leute dort draußen…« – mit dem Daumen wies er durch ein imaginäres Fenster auf den hereinbrechenden Winter von Berlin – »… sind sehr erfindungsreich, wenn es darum geht, ihren Problemen und Sorgen zu entfliehen. Ich möchte gar nicht bestreiten, dass die Einnahme von Drogen den erwünschten Effekt erzielt.« Er legte die Arme über Kreuz und beugte sich zu Philip herüber. Seine Stimme nahm einen verschwörerischen Ton an. »Und ich möchte Ihnen ein Geheimnis verraten: In Maßen konsumiert, soll dies alles auch gar kein Problem sein. Jeder wie er mag.« Sein Oberkörper ruckte wieder empor. Er fand zu alter Lautstärke zurück. »Aber das ist meine ganz persönliche Meinung. Und die Betonung liegt auf in Maßen.«
    Er machte eine Pause, verschob den Hefter mit den beiden Zetteln vom linken an den rechten Tischrand. Für Sekunden war er damit beschäftigt, ihn dem 90-Grad-Winkel der Ecke anzugleichen. Dann sprach er weiter: »Von maßvollem Genuss kann bei Ihnen allerdings keine Rede sein. Ich werde gar nicht aufzählen, welche Stoffe wir in Ihrem Blut festgestellt haben; das werden Sie wahrscheinlich am allerbesten wissen. Und damit wären wir bei dem eigentlichen Problem.«
    Er zupfte seinen Bart zurecht. »Oder vielleicht ist es gar kein Problem, sondern eine Erklärung…«
    »Wofür?«,
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