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Schwester der Toten

Schwester der Toten

Titel: Schwester der Toten
Autoren: Marcel Feige
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betrachtete. Nein, er war weder zerstreut noch dumm. Ganz im Gegenteil. Er erzeugte absichtlich diese scheinbar unverfängliche Kaffeeklatsch-Atmosphäre. Bewusst vermied er jede Anspielung auf den Mord in der Redaktion, wiegte Philip in Sicherheit und war dabei in Wahrheit auf der Pirsch nach jeder unbedachten Äußerung. Philip hatte keinen Zweifel daran, dass Berger ihn mit dem ersten falschen Wort, das ihm entschlüpfte, an die fleckige Wand der Kombüse nageln würde.
    Deshalb zog er es vor zu schweigen. Er befühlte das Wundmal auf seinem Arm. Es schmerzte leicht. Berger setzte unterdessen seinen Monolog fort: »Die Wohnung Ihrer Freundin hat mir gefallen. Geräumig und groß. So ganz anders als die Studentenbude meiner Tochter. Oder Ihre Wohnung.« Er rümpfte despektierlich die Nase. »Ihre Wohnung haben Sie ganz schön zugerichtet. Waren wohl mächtig in Panik, was?« Er musterte Philip. »Ich frage mich, weshalb?«
    Was sollte er darauf erwidern? Alles, was passiert war, nun, es war… absurd. Was nicht unbedingt das Wort war, nach dem er gesucht hatte, aber ihm fiel vorläufig nichts Besseres ein. Es war gar nicht so lange her, dass man ihn schon einmal auf den Rücksitz eines Einsatzfahrzeuges gestoßen und zur Polizeidienststelle am Alexanderplatz verfrachtet hatte. Das lag gerade einmal drei, vier Stunden zurück. Vier Stunden und 80 Jahre, um genau zu sein.
    Mühsam unterdrückte er ein Kichern und blieb auch diesmal eine Antwort schuldig. Berger schien mit nichts anderem gerechnet zu haben. Unbekümmert fragte er weiter: »Weiß Ihre Freundin davon? Also von dem, was sie da verbockt haben?« Er räusperte sich. »Junge, Sie wissen gar nicht, was Sie an Ihrer Freundin haben.«
    Allmählich ging ihm dieser Kommissar auf die Nerven. Konnte er nicht endlich auf den Punkt kommen? Philip war sich nicht sicher, ob er noch weitere gute Ratschläge ohne Wutanfall verkraften würde. Ruhig bleiben.
    Es klopfte an der Tür, ein Schloss wurde entriegelt und ein Mann in Jeans und Lederjacke steckte den Kopf in den Raum. »Sebastian?«
    »Mein Kollege Kalkbrenner«, stellte Berger höflich vor und erhob sich.
    Kalkbrenner reichte ihm einen schmalen Aktenordner und musterte Philip kurz, bevor er sich umdrehte und den Raum ohne ein weiteres Wort verließ. Berger nahm Platz und blätterte in den Unterlagen. Genau genommen waren es nur zwei Zettel, die in dem Hefter lagen, wie Philip erkannte. Berger studierte sie lächelnd. Als er aufschaute, hatte sich der kauzige TV-Polizist in einen strengen deutschen Beamten verwandelt.
    »Soll ich Ihnen sagen, wie ich die Situation sehe?« Der Tonfall war unterkühlt. »Ein Typ wie Sie ist als Freund bestenfalls ein Hindernis. Ein Ärgernis. Ein Klotz am Bein. Ich würde meiner Tochter den Umgang mit Ihnen verbieten.«
    Piss die Wand an. Philip drückte den blauen Fleck in seiner Armbeuge und konzentrierte seine Wut auf den Schmerz.
    »Ich weiß, was Sie denken«, meinte der Kommissar.
    »Ach ja?«, versetzte Philip. Es war das erste Mal, dass er wieder sprach, und er bereute es in der Sekunde, in der die beiden Worte über seine Lippen schlüpften.
    »Ich glaube, dass Sie das alles einen Scheißdreck interessiert.«
    Womit Sie gar nicht mal so Unrecht haben. Es fiel ihm tatsächlich schwer, Bergers Show angemessene Aufmerksamkeit entgegenzubringen, schließlich war er vor wenigen Stunden schon einmal verhört worden, auf genau diesem Revier, von Polizisten, die inzwischen zu Staub zerfallen waren. Wieder war da der Impuls, lauthals lachen zu müssen. Wenn erst einmal die Wahrheit ans Tageslicht kam, dann… Was dann?
    »Ich möchte einen Anwalt«, sagte Philip, hauptsächlich, um überhaupt etwas zum Gespräch beizutragen.
    »Sie möchten einen Anwalt?«
    »Ja, der steht mir zu.«
    »Sind Sie sich sicher, dass Sie sich einen Anwalt überhaupt leisten können?«
    Philip schwieg. Zugegeben, sein finanzielles Polster war durch die vielen Partys in letzter Zeit geschrumpft. Sein Kontostand tendierte gegen null; eine Situation, die sich nach seiner Kündigung beim Kurier nicht eben bessern würde. Eigentlich bestand sein Vermögen nur noch aus den Euroscheinen und Cents in seinem Portemonnaie. Aber das hatte er mitsamt dem Rucksack und seiner Jacke an der Garderobe im Tresor abgegeben. Mit viel Glück hatte Ken die Sachen abgeholt und bewahrte sie bis zu seiner Rückkehr auf. Bis dahin aber besaß Philip nichts als das, was er am Leib trug: seine Sneakers, die Unterwäsche, die Jeans
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