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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter
Autoren: Bruce Sterling
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Geschwindigkeit, solange ich mich anschnalle«, ächzte Jane. »Und hör auf, bei mir Jerrys Sprachinterface zu benutzen.«
    »Wenn ich mich außerhalb der Reichweite des Uplinks der Truppe befinde und im Normalmodus arbeite, muß ich Jerrys Sprachinterface benutzen«, sagte der Wagen und rollte in gemächlichem Tempo die Straße entlang.
    Jane bemühte sich, den schlaffen Körper ihres Bruders mit den Wagengurten festzuschnallen. Sein blondschopfiger Kopf hing kraftlos zur Seite wie ein Gänseblümchen, und seine Arme waren wie zwei Strümpfe aus Wachs. Es hatte keinen Sinn, es war einfach zu eng im Wagen.
    Jane ließ sich frustriert auf den Sitz zurückfallen. »Kannst du denn mein Interface benutzen, wenn du auf Normalmodus umschaltest?« fragte sie.
    »HMMMMMMMM…«, machte der Wagen volle fünfzehn Sekunden lang. »Ich glaube, das wäre möglich, wenn wir anhalten und ich neu boote.«
    »Nein, nein!« sagte Jane. »Komm bloß nicht auf die Idee, neu zu booten! Bring uns einfach auf dem Weg aus der Stadt, den du gespeichert hast.«
    »Okay, Juanita, das werd ich machen.«
    »Allmächtiger«, sagte Jane. Sie klappte das Lenkrad ein, um mehr Platz zu haben, und schaffte es, ihren Bruder aufrecht an die Beifahrertür zu zwängen. Daraufhin hustete er zweimal, und blauer Speichel trat auf seine Lippen.
    Jane pellte sich die Plastikhandschuhe von den Händen, dann streifte sie die Regenkapuze ab. Das schweißnasse Haar klebte ihr am Schädel - sie zupfte mit feuchten Schwitzfingern daran. Bis sie Alex hatte schleppen müssen, war alles gut gegangen.
    Sie riß sich die Papierhüllen von den Stiefeln, dann schälte sie sich zur Verwunderung der späten Passanten auf der Avenida Guerrero unter Verrenkungen aus dem Papieroverall, bis sie in Hemd und Shorts dasaß.
    Jane stopfte Stiefelüberzieher, Handschuhe und den Papieroverall systematisch in die Regenkapuze. Sie zog das Zugband der Kapuze fest an und knüllte die Beweismittel mehrmals zusammen. Sie entledigte sich des Sägeblatts - an dem jetzt belastende Plastikspuren hafteten - und vorsichtshalber auch des Klebstoffbehälters. Falls die Krankenhausleute über den Einbruch erbost genug waren, einen guten Privatschnüffler anzuheuern, könnte es ihnen gelingen, die Klebstoffcharge zurückzuverfolgen. Jane warf gute Hardware nur ungern weg, aber bei reiflicher Überlegung war das weniger ärgerlich, als unten im juzgado in mexikanische elektronische Handschellen gelegt zu werden.
    Sie löste sämtliche Werkzeuge vom Gürtel und verstaute Werkzeuge und Gürtel sorgfältig im metallenen Werkzeugkasten auf dem Rücksitz.
    Der Wagen überquerte vor der Mercado Maclovia Herrera eine Kreuzung und hielt auf die alte internationale Brücke zu.
    Sie hoffte, niemand nähme Notiz von Charlie. In einer dunklen Nacht mochte der Wagen durchaus als gewöhnliches Schmugglerfahrzeug durchgehen, die hier zu häufig waren, als daß sie in den Städten beiderseits der Grenze sonderlich aufgefallen wären.
    Jane steuerte den finstersten Winkel eines Parkplatzes an, der neben einem gigantischen, florierenden Tabaksupermarkt lag. Selbst zu dieser späten Stunde qualmten sich noch Trauben von Yankee-Süchtigen die Lungen voll. Jane riß einen weiteren Rettungsanzug aus Papier aus dem Karton der U.S.-Regierung und hatte es nach siebenminütiger Anstrengung geschafft, Alex' Arme und Beine im Overall unterzubringen und den Reißverschluß bis zum Hals zu schließen. Sie hatte keine Schuhe für Alex. Sie hätte an die gottverdammten Schuhe denken sollen.
    Als sie den Hochwasser führenden Rio Grande überquerten, packte Jane den Überrollbügel, stellte sich auf den Sitz und warf sämtliche Beweismittel über das Geländer. Ihretwegen konnte man sie ruhig wegen Umweltverschmutzung verhaften. Oder wegen illegaler Entsorgung in einem Wasserlauf.
    Jane fuhr an der amerikanischen Zollabfertigung vor. Ein ältlicher Zollbeamter kam heraus, mit langem, schneeweißem Haar, einem Walroßschnurrbart und einem handgeschnitzten Spazierstock aus Mahagoni. Er kam zu ihrem Wagen gehumpelt.
    Als Jane sah, wie stolz und liebevoll der alte Herr die Uniformjacke gestopft und gestriegelt hatte, fand sie ihn spontan sympathisch.
    »Hübscher Wagen«, meinte er gedehnt.
    »Danke, Sir.«
    Der Beamte tippte mit dem Spazierstock auf Charlies federgelagerte Antennen. »Aus alten Militärbeständen?«
    »Yeah!« antwortete Jane vergnügt. »Eigentlich ist das ein ehemaliges Geländefahrzeug der American Special Forces.«
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