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Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter
Autoren: Bruce Sterling
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Sternensieb.
    Alex schloß wieder die Augen und atmete tief durch. Seine Lunge fühlte sich wirklich wundervoll an. Normalerweise waren seine Lungenflügel ein wattiges Gewebe aus Schmerz, zwei blutgetränkte Schwämme, die beiden größten Bürden seines Lebens. Aber jetzt hatten sie sich irgendwie in makellos saubere Beutel verwandelt, in knackige High-Tech-Säcke aus öligem Wachspapier, in wunderbar lebensspendende Organe. Alex hatte einen schlimmen Krampf im Gesäß, und seine Füße und Hände waren vom peitschenden Nachtwind dermaßen ausgekühlt, daß sie sich anfühlten wie die Extremitäten einer Wachsfigur, aber darauf kam es nicht an. Das war nebensächlich.
    Er konnte einfach nicht glauben, wie wundervoll es sich anfühlte, einfach bloß dazusitzen und zu atmen.
    Selbst seine Nase war frei. Seine Nebenhöhlen. Seine Nebenhöhlen fühlten sich an wie dampfgereinigt. Er roch den Wind. Der Wind führte den Geruch von Salbei mit sich, den inbrünstigen, bitteren Geruch einer zehntausendjährigen texanischen Wüste, die von wiederholten schweren Regenfällen ausgeflippt war. Er roch sogar das süße Aroma des staatlich subventionierten Diätzuckers an Juanitas malmenden Zähnen. Alles roch wundervoll.
    Bloß er nicht.
    Alex setzte sich anders hin und streckte sich. Sein Rückgrat knackte an vier verschiedenen Stellen, und das Blut strömte prickelnd in seine eingeschlafenen, nackten Füße zurück. Er hustete. Tief in seiner Brust schwappte eine dichte Flüssigkeit. Er hustete noch zweimal. In den Tuberkeln brodelte klebriges Zeug. Das Gefühl war äußerst merkwürdig und höchst interessant. Der Schleim, den sie in ihn hineingepumpt hatten, schmeckte ziemlich fies, überzog seine Zunge am hinteren Gaumen mit einer dicken, bitteren, widerlichen Schicht, aber die Wirkung auf seine Lunge und seinen Rachen war himmlisch. Er wischte sich mit dem Handrücken Tränen aus den Augen.
    Er trug einen Rettungsanzug aus Papier. Das war tatsächlich das erste Mal, daß er einen trug, aber er hatte schon viele gesehen. Papieranzüge waren die Standardkleidung der Ausgestoßenen dieses Planeten. Ein moderner amerikanischer Rettungsanzug aus Papier, im Grunde völlig wertlos und zum einmaligen Gebrauch bestimmt, war ein richtiges High-Tech-Produkt. Allein schon davon, wie er sich darin bewegte, konnte Alex erkennen, daß in die Entwicklung des Anzugs die volle schöpferische Intelligenz eines Dutzends Katastrophenexperten der Regierung eingegangen war. Ganze Arbeitsjahre und unzählige Trillionen von CAD-CAM-Zyklen hatte die Entwicklung des Anzugs verschlungen, angefangen von den mikroskopisch kleinen luftdurchlässigen Papierporen bis zu den raffiniert-ergonomischen faltbaren Schultersäumen. Der Papieranzug war leicht und luftig, und obwohl er im Nachtwind ein wenig flatterte, hielt er Alex erstaunlich warm. Der Anzug erfüllte seinen Zweck besser, als man Papierkleidung eigentlich zugetraut hätte.
    Trotzdem war es immer noch bloß Papierkleidung, und so gut funktionierte sie auch wieder nicht.
    »Nett, was du da ausgesucht hast«, sagte Alex. Sein Kehlkopf war ölverklebt, und seine Stimme war ein verzerrtes Krächzen.
    Juanita beugte sich vor, schaltete die Innenbeleuchtung ein und schaltete die Musik aus.
    »Dann bist du also wach, hm?«
    Alex nickte.
    Juanita drückte einen weiteren Knopf am Armaturenbrett. Aus einem breiten Schlitz über der Windschutzscheibe platzte Stoff hervor und stülpte sich über ihre Köpfe. Der Stoff rauschte, flatterte, befestigte sich und verwandelte sich in ein Dach aus Schaumstoff. In eine sonnenverbrannte Kuppel aus steifem Stoff, der ebenso trocken und braun und zäh wirkte wie der Panzer einer Wüstenschildkröte.
    Juanita drehte sich in der hellen, auf einmal windlosen Stille im Wageninnern zu Alex herum. »Wie fühlst du dich?«
    »War schon mal schlimmer«, flüsterte Alex mühsam und grinste schwach. »Yeah. Ich fühl mich ganz gut.«
    »Freut mich, das zu hören, Alex. Was wir vorhaben, ist nämlich kein Sonntagsspaziergang.«
    Alex versuchte sich zu räuspern. An seinen Stimmbändern klebte blutwarmes Öl. »Wo sind wir?«
    »Highway 83, Westtexas. Wir sind gerade an Junction vorbeigekommen und fahren Richtung San Angelo. Ich bringe dich zu mir nach Hause.« Juanita sah ihn an, als erwartete sie, daß er jeden Moment auseinanderfallen würde. »Eigentlich habe ich überhaupt kein Zuhause mehr. Aber ich bringe dich zu Leuten, bei denen du bleiben kannst.«
    »Nett von dir, daß
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