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Schwarzwaldau

Schwarzwaldau

Titel: Schwarzwaldau
Autoren: Carl von Holtei
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Schüler suchen und gewinnen; erwarb mir auch die Gunst einiger Lehrer. Je erbärmlicher die Existenz bei und mit meiner hilflosen Mutter von Tage zu Tage wurde, um desto lieber ward mir die Schule. Wie müssige Bettler an manchen Orten gern und oft Kirchen besuchen, um sich, auch ohne Gottesdienst, in hochfeierlichen Räumen aufhalten zu dürfen, so sehnte ich mich aus den drückenden Umgebungen daheim mit wahrer Ungeduld nach den hellen, lichten, – und im Winter gewärmten Lehrsälen, die mir zur eigentlichen Heimath wurden. So ging es fort, in jeder Weise gut und löblich, bis in mein sechszehntes Lebensjahr, wo ich bereits zur obersten Classe befördert wurde, was meinem Eifer und Ehrgeiz frische Nahrung gab. Ich hegte keine anderen Wünsche und Hoffnungen, als möglichst bald die Universität besuchen zu können. Außer meinen Studien beschäftigte mich eigentlich nur der Gedanke an die Möglichkeit, wie ich mich als Student durchbringen und welche Mittel ich erfinden würde, die unentbehrlichsten Zuschüsse aufzutreiben, wobei ich freilich zunächst auf meinen ausdauernden Willen und auf die Fähigkeit baute, mir durch Unterricht in guten Familien etwas zu erwerben. Uebrigens hatten auch mehrere meiner Mutter noch befreundete Personen für jene Zeit einen kleinen Beitrag auf drei Jahre versprochen. Ganz erfüllt von diesen Plänen, suchte ich weder Vergnügen, noch Zerstreuung, wie doch selbst die fleißigsten meiner Mitschüler wohl thaten. Von gemeinschaftlichen Spaziergängen, von Besuch öffentlicher Conzerte, Conditoreien, oder gar der Theater, von Tanzgesellschaften und ähnlichen Dingen war bei mir nicht die Rede. Ich kannte diese Genüsse nur dem Namen nach und hörte kaum darauf, wenn die Uebrigen in den Zwischenstunden sich davon erzählten. Eben so wenig machte es nur im Geringsten Eindruck auf mich, sie von ihren halb kindischen Liebschaften untereinander reden und ihre Geheimnisse vertraulich austauschen zu hören. Manche der Erwachseneren waren schon nicht mehr kindisch und zeigten mehr Erfahrung, als man insgemein bei Schuljungen voraussetzt. Aber auch dieß Geschwätz ging an mir vorüber, ohne mich innerlich zu berühren und in meinem Streben zu stören. Mit einem solchen Sohne, sollte man denken, hätte die Mutter mehr als zufrieden sein müssen? Dennoch war sie es nicht. Im Gegentheil führte sie bittere Klage über mich, und diese Klage betraf meine Gleichgiltigkeit gegen alle äußerlichen Religionsübungen, denen sie sich, seit dem letzten Verfall scheinbaren Wohlstandes, als Haupttrostmittel hingab. Sie war im vollen Sinne des Wortes eine Betschwester geworden. Und dieß entzweite uns häufig. Wenn ich auf meinen Fleiß, auf meine sittsame, in Entbehrungen und Mangel bewährte Haltung, auf meinen ernsten redlichen Willen trotzte, so sagte sie mir weinend, daß dabei kein rechter Segen sein könne, weil ich ihn nicht gläubig von Oben erflehte und nur auf eigene menschliche Kraft vertraute. Diese Aeußerungen kränkten mich, machten mich unwillig und verleideten mir vollends den Antheil, den ich gezwungen an ihren Betstunden genommen. Zum Heuchler fehlten mir die Anlagen. – Und dennoch sollte meine Mutter Recht behalten, wenn gleich in anderem Sinne als sie selbst ahnen konnte! Die traurige Umwandlung, welche an und in mir geschah, muß ich durch eine scheinbar unwichtige Notiz einleiten. Wir zogen, um an der Miethe zu sparen, im Herbste nach einer abgelegenen, ärmlichen Vorstadt. Mein täglicher Weg zu dem Gymnasium führte nun bei einem kleinen Häuschen vorüber, aus dessen einem niederen Fenster, durch ein schmales Gärtchen von der Straße abgetrennt, gewöhnlich ein brauner Lockenkopf blickte, den ich einem Mädchen gehörig wähnte. Das zweite Fenster nahmen saubere Gypsabgüsse kleiner zierlicher Büsten und Statuetten ein, die sichtlich um Käufer anzulocken, ausgestellt waren. Den Winter hindurch gönnte ich, in raschem Gange, diesen Gegenständen keine Aufmerksamkeit. Als ich aber am ersten warmen Frühlingstage des Weges aus der Schule heim kam, standen die Flügel des einen Fensters geöffnet und der braune Lockenkopf, den ich bisher hinter kalten Glasscheiben wahrgenommen, lehnte sich, sammt dazu gehörigem Hals und Busen, in's Freie. Zwei kecke, vielsagende Augen trafen die meinigen und es ging in mir vor, was ich nicht beschreiben kann. Von diesem Augenblicke dachte ich wachend wie träumend an dieß unbekannte Geschöpf. Näherte ich mich jenem Häuschen, so nahm ich
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