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Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
Autoren: Liane Merciel
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anderen war nur Kratzer. Die sauberen Schrammen waren neuer.
    Sie ließ die Laterne sinken. »War? Der Schutzzauber ist jetzt verschwunden?«
    »Er ist verschwunden, bevor wir gekommen sind.« Der Dornenlord zeichnete mit zwei Fingerspitzen die Umrisse der Kratzer nach, ohne sie zu berühren. »Corban hat die Siegel selbst aufgehoben. Anscheinend ist Maols Joch eine schwere Last auf den Schultern.«
    »Gut«, sagte Asharre und trat hindurch.
    Auf der anderen Seite befand sich eine unterirdische Anlegestelle. Ein kurzer, hölzerner Steg erstreckte sich hinaus über das schwarze Wasser, mit dem von Siegeln markierten Loch an einem Ende und zwei Pollern am anderen. Seile baumelten lose von den Pollern ins Wasser. Staubige Kisten, gestempelt mit dem Zeichen »Berg über Fluss« von Cardental, stapelten sich am anderen Ende des Stegs. Das Licht ihrer Laterne zerstreute sich in breiten, gelben Wellen rund um die Pfahlkonstruktion und beleuchtete von Muscheln bedecktes Holz und leeres Wasser. Keine Boote.
    Verwischte Ringe aus Kreide und Kohle befleckten den Steg. Die Bretter waren rostbraun gescheckt, und Büschel von Hundehaar klebten daran. Ein menschlicher Leichnam lag in der Nähe dieser Blutspritzer. Er stank nach Verwesung, zeigte jedoch keine schwarzen Spiralen und schien einfach tot zu sein, daher ging sie vorbei. Nichts sonst regte sich, bis Asharre die Mitte des Steges erreicht hatte.
    »Das ist weit genug. Kommt noch näher, und ich schieße.« Die Stimme war rau und gebrechlich; es war eine Stimme, die sich kaum noch erinnerte, wie man Worte bildete.
    Asharre stellte vorsichtig die Laterne ab und ging langsamer weiter, aber sie blieb nicht stehen. Niemand, der Warnungen rief, nachdem sie seine Hunde getötet hatte, über die Leichen seiner von Flüchen gebundenen Wachen gestiegen war und seine maolitischen Schutzzauber gesehen hatte, würde auf sie schießen, nur weil sie einen Steg hinunterging. Sie hatte sich als Feindin zu erkennen gegeben, noch dazu als eine gefährliche. Wenn der Sprecher nach alledem nicht sofort auf sie schoss, hatte sie seine Drohung wenig zu fürchten.
    Corban – es musste Corban sein – war ein magerer Mann, der hinter den Kisten am Ende des Stegs hockte. Sein Arm zitterte, als er mit einer Hand eine Armbrust auf sie gerichtet hielt; der knollenförmige Bolzen schwankte trunken hin und her. Ein Schwarzfeuerkiesel klapperte in der filigranen Spitze.
    »Legt die Armbrust nieder!«, sagte Asharre. Sie erwartete nicht, dass er gehorchte; sie wollte nur, dass er lange genug zögerte, damit sie ihn erreichen konnte. Zu ihrer Überraschung jedoch ließ Corban die Waffe zittrig sinken.
    »Ich habe das nie gewollt«, sagte er. Ein trockenes Schluchzen schüttelte den Körper des Mannes. »Ihr müsst mir glauben. Ich wollte … ich wollte … ich war habgierig, ich gestehe es. Aber das sollte nie geschehen. Nicht das. Die Götter mögen mich retten, ich habe für meine Sünden gelitten. Habe ich nicht genug gelitten? Das habe ich nicht gewollt. «
    Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, dachte Asharre. Nicht sein Geist; obwohl er offensichtlich unter einem Bann stand, wirkte er überraschend klar. Aber mit seinem Körper war etwas nicht in Ordnung. Die Schatten, die er warf, waren vollkommen falsch. Sie machte einen weiteren vorsichtigen Schritt und griff dabei nach Aurandanes Magie. Diesmal war es einfacher, beinahe natürlich. Blaue Flammen sprangen um die Klinge herum hoch, sodass sie deutlicher sehen konnte.
    Es waren nicht die Schatten, die falsch waren, es war sein Fleisch. Asharre blieb stehen und starrte Corban ungläubig an.
    Die Hälfte seines Körpers … fehlte, war ausgelöscht.
    Sein rechter Arm endete mit dem Ellbogen. Zwei Drittel seines Gesichtes waren weggeschnitten; das eine verbliebene Auge starrte sie über die Zwillingsschlitze seiner Nasenlöcher und ei ne aufgeplatzte, ausgefranste Unterlippe hinweg an. Eine Obe rlippe gab es nicht. Vom Fleisch an seinen Oberschenkeln fehlten große Teile, sie waren spiralförmig herausgeschnitten worden; der Rest war weiß, runzelig und blutleer wie eine im Keller gelagerte Rübe.
    Dunkelheit füllte die Lücken. Sie war dick, düster und pulsierte in einer Weise, die eine beunruhigende Ähnlichkeit mit Leben hatte. Sie schlang sich um seine entblößten Knochen und bohrte Ranken unter seine Haut. Wenn er sich bewegte, dann tat das zuerst die Dunkelheit, wie es Asharre vorkam. Sie handhabte Corbans Körper mit ihren Fangarmen wie eine
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