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Schwarzes Blut

Schwarzes Blut

Titel: Schwarzes Blut
Autoren: Christopher Pike
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sehen!« befiehlt er.
Ich hebe mein linkes Bein leicht an. Mein Gleichgewicht ist so stabil wie das einer Marmorsäule. »Unterm Hosenbein. Nimm’s mal raus. Vielleicht können wir ein kleines Duell veranstalten.«
Vorsichtig greift mir Paul ans Hosenbein. Für seine Kumpels macht er dabei auf Macho und wirft ihnen lüsterne Blicke zu. Er hat keinen Schimmer, wie nahe er daran ist, daß ich ihm den Kopf abtrete. Aber ich hab’ gerade meine nette Phase, und außerdem trinke ich nicht gerne aus sprudelnden Quellen. Versaut mir bloß die Klamotten. Als Paul auf das Messer stößt, weiten sich seine Augen, und er zieht es rasch aus dem Lederband. Liebevoll betätschelt er es mit der Hand und zeigt es seinen Freunden. Langsam werde ich ungeduldig.
»Ich will es wiederhaben«, sage ich schließlich. »Wir können uns nicht duellieren, wenn du beide Waffen hast.«
Paul kriegt es nicht auf die Reihe. Er hat genug von meiner frechen Art. Und ich von seiner. »Du kleine Klugscheißerin! Watt soll ich dir das Messer hier wiedergeben, ey? Nachher piekst du mich noch damit, wenn ich’s dir mache.«
Ich nicke. »O ja, ich werde dich ganz sicher damit pieksen, da kannst du einen drauf lassen. Mir ist egal, wenn du und deine Kumpels hier in den Straßen herumlungern wie hungrige Löwen. Hier ist Dschungel, und nur der Stärkere überlebt. Das verstehe ich sogar gut, besser, als du dir es vorstellen kannst. Aber auch im Dschungel herrschen Gesetze. Nimm dir nichts, was du nicht brauchst, und wenn doch, dann sei fair dabei. Du bist nicht fair, Paul. Du hast mir mein Messer weggenommen, und ich will es wiederhaben. Gib’s mir sofort wieder, oder es wird dir verdammt leid tun.« Ich streckte die Hand aus und wiederhole in einem Tonfall, so dunkel wie mein ganzes Leben: »Verdammt leid.«
Wut steigt in ihm hoch, seine Wangen verdunkeln sich. Er kennt sich nicht aus im Dschungel, sonst würde er erkennen, daß er eine Giftschlange vor sich hat. Er ist ein Feigling. Statt mir das Messer zurückzugeben, will er mir die Hand damit aufschlitzen. Natürlich schafft er das nicht, denn meine Hand ist nicht mehr da, wo sie noch eine Zehntelsekunde zuvor war. Ich habe sie zur Seite gezogen und ihm im selben Moment den Revolver aus der Hand getreten. Ich habe nur den Revolver berührt, nicht seine Hand, und was die anderen drei nicht sehen können, sehe ich dafür um so besser: Die Waffe landet auf dem Dach eines dreistöckigen Apartmentblocks seitlich von uns. Pauls Kumpel weichen zurück, er jedoch starrt noch immer seiner Knarre hinterher. Sein Mund funktioniert zwar noch, er hat aber Mühe, sich zu artikulieren.
»Hä?« bringt er schließlich immerhin hervor.
Jetzt schnappe ich ihn mir und ziehe ihn fest an den Haaren heran. Mit meiner Linken umklammere ich seine Hand, mit der er mein Messer hält. Jetzt spürt er meinen Blick auf sich brennen. Er zittert unter meinem Griff, und zum erstenmal dürfte eine Ahnung in ihm aufsteigen, wie viele verschiedene Tierarten im Dschungel so herumlaufen.
Ich beuge mich vor und flüstere ihm ins Ohr: »Ich weiß, daß du schon mal einen umgelegt hast, Paul. Schon in Ordnung. Ich habe schon oft getötet, sehr oft. Ich bin viel älter, als ich aussehe, und wie du gerade mitkriegst, bin ich auch viel stärker. Ich werde dich jetzt kaltmachen, aber vorher sag mir, ob du noch einen letzten Wunsch hast. Mach schnell, ich habe es eilig.«
Er dreht sich ab, kann aber meinem Blick nicht ausweichen. Als er sich befreien will, muß er feststellen, daß wir durch meinen Griff wie aneinandergeschweißt sind. Schweißperlen rinnen ihm von der Stirn, wie die vielen Tränen, die die Familien seiner Opfer vergossen haben. Seine Kumpels machen sich immer weiter davon. Pauls Unterlippe bebt.
»Wer bist du?« keucht er.
Ich lächele. »Eine Partymieze, wie du gesagt hast.« Mein Lächeln verfliegt. »Kein letzter Wunsch? Zu schade. Sag den Menschen tschüs, und sag dem Teufel hallo. Sag ihm, ich komme bald nach.«
Nur ein schlechter Witz, um ein Opfer zu quälen. Und doch liegt ein Fünkchen Wahrheit in dem, was ich sage. Eine Schmerzwelle durchzuckt plötzlich meine Brust, als ich Paul näher an mich heranziehe. Die Wunde stammt von dem Abend, als mich ein Pfahl durchbohrte, dem Abend, als Yaksha umkam. Eine Wunde, die nie richtig verheilt ist. Seit diesem Abend, vor sechs Wochen, war ich nie ganz schmerzfrei. Und ich befürchte, ich werde es auch nie mehr sein. Das volle Ausmaß der Schmerzen packt mich immer dann, wenn
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