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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz
Autoren: Tanith Lee
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besaß keine Freunde, niemanden, von dem sie sich verabschieden musste. Sie schickte ihre neue Adresse an den Hausbesitzer, der sie wahrscheinlich ignorieren würde. Die neue Adresse war auf jeden Fall nur fiktiv, ein Ort, der nicht existierte.
    Viele Sachen ließ sie unerledigt. Bis sie zurückkam. Das war jedoch im Moment, da diese große Reise mit all ihren Verwicklungen und Hinterhalten vor ihr lag, etwas Unbegreifbares – eine Rückkehr.
    Zweimal dachte sie, sie hätte den Agenten mit der Wollmütze draußen auf dem Rasen erspäht, wie er sich hinter den nassen Bäumen verbarg und sie beobachtete. Aber es hätte auch eine Halluzination sein können.
    Sie hoffte, dass der Geist der Katze ihre Räume verlassen würde, sobald sie weggegangen war. Bei dem Gedanken musste sie, wie häufig, bitterlich weinen, doch das dauerte niemals lange.
    Seit ihrer Kindheit hatte sie, wenn sie sich ausruhte oder vor dem Einschlafen im Bett, gefühlvollen sexuellen Fantasien nachgehangen. Sie stellte sich unkomplizierte Abenteuer vor, mit großen, schwarzhaarigen, fast gesichtslosen Männern. In Wirklichkeit traf sie solche Männer nie, obwohl sie vielleicht hin und wieder, an irgendeiner Straßenecke, am anderen Ende eines Raumes, eine flüchtige Illusion erhascht hatte, die sich bei näherem Hinsehen sofort auflöste. Nach dem Tod ihrer Mutter, als Rachaela fünfundzwanzig war, befand sie, dass sie zu alt war für solche immer wiederkehrenden Träume, zusammenhanglos, verschwommen und völlig unwahrscheinlich, Rendezvous in Sturm und Nebel, auf saftig grünen Hügeln, unter Bäumen um Mitternacht …
    Sie unterdrückte diese Träume einfach. Ab und zu wollte ein Buch oder Film sie wieder an die Oberfläche dringen lassen, doch sie blieb hart.
    Im Moment beschränkten sich diese Exkursionen ihrer Fantasie auf den Ort, zu dem sie reisen würde. Der Gedanke daran erfüllte sie mit Entsetzen. Es war wie ein Sumpf, der sie hinabzuziehen drohte.

2
    Nach der letzten Etappe der langen Fahrt blieb die Reisende wie hypnotisiert zurück, ihr Körper bewegte sich immer noch im wiegenden, rüttelnden Rhythmus des Zuges, ihre Augen blickten erstaunt auf die plötzlich stillstehende Landschaft.
    Sie stand vor einem winzigen, halbverfallenen Bahnhof, umgeben von winterlichem Unkraut.
    Der Himmel verschmolz mit der Erde. Es war ein Bild von Turner, riesige Wolkenbänke und Umrisse von Bergen; kein Sonnenstrahl durchdrang den trüben Nachmittag.
    Dann näherte sich ein hellbrauner Cortina auf der Asphaltstraße, die am Bahnhof vorbeiführte. Als einzige Eindringlinge in dieser Landschaft schienen das Auto und sie füreinander bestimmt zu sein.
    Der Cortina bog in den Bahnhofsvorplatz ein und kam inmitten von Unkraut und Wintergras zum Stehen. Ein Fenster wurde heruntergekurbelt.
    » Ist Ihr Name Smith?«
    Der Fahrer sprach mit einem unbestimmbaren ausländischen Akzent.
    » Ja.«
    Die Tür öffnete sich, und der Mann stieg höflich aus, um ihre zwei Gepäckstücke in den Kofferraum zu wuchten. Da sie wegen der Bücher, die sie mitgeschleppt hatte, sehr schwer waren, musste das ein ziemlicher Kraftakt für ihn sein.
    » Sie wollen hier Ferien machen?«
    » Nein«, sagte Rachaela kühl und abweisend.
    Anders als die Fahrer in der Großstadt setzte er nicht voraus, dass sie unbedingt reden wollte, und drang nicht weiter in sie. Er schwieg und öffnete die Beifahrertür. Rachaela stieg ein.
    Als das Auto anfuhr, verspürte sie große Erleichterung. Ihr Körper war nun schon so lange in Bewegung, dass er sich einzig in diesem Zustand wohlzufühlen schien.
    Das Auto war muffig und feucht, doch sie lehnte sich in die Polster und sehnte sich danach, die Augen schließen zu können. Leider konnte sie sich in Anwesenheit des fremdländischen Fahrers nicht völlig entspannen. Sie betrachtete das blasse Olivgrün der vorüberziehenden Landschaft. Dunkles Waldland, gelegentlich von der tabakbraunen Fläche eines Ackers durchbrochen, ein Bauernhaus, eine uralte Werkstatt, deren Schild schon lange heruntergefallen war, und die inzwischen strahlend-roten Rost angesetzt hatte. Der Fahrer sprach dreißig Meilen lang kein Wort.
    Dann sagte er sanft: » Ich kenne mich nicht so gut in der Gegend aus. Ich komme aus der Stadt. Wissen Sie, wo Sie hinwollen?«
    » Ich fürchte nein.«
    » Dann werden wir es wohl einfach riskieren müssen. Mister Simon hat mir eine kleine Straßenkarte geschickt. Vielleicht kann die uns weiterhelfen.«
    Sie dachte an den Augenblick, wenn
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