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Schwarzer Engel

Schwarzer Engel

Titel: Schwarzer Engel
Autoren: V.C. Andrews
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Augen! Endlich würde er sagen, daß er mich liebhatte.
    »Engel!« schrie er.
    Mit ausgebreiteten Armen trat er auf mich zu, das Gewehr fiel ihm aus der Hand, und die Pistole, die er aus dem Halfter genommen hatte, glitt lautlos in den Manegenstaub.
    Es war Sie!
    Es war immer noch meine Mutter, die er sah!
    Er würde immer nur sie sehen und nie mich, niemals!
    Ich drehte mich um und lief davon.
    Weinend und außer Atem hielt ich erst außerhalb des Hauptzeltes an. Hinter mir erhob sich ein Tumult: Schreie, Brüllen, Leute riefen wie verrückt, dressierte Tiere waren wild geworden. Jetzt erstarrte ich. Ich hörte Schüsse und drehte mich wieder um. Nervös hob ich die Hände an die Stirn und preßte sie dort zusammen.
    »Was ist denn passiert?« fragte ich zwei Männer, die aus dem Zelt gelaufen kamen.
    »Die Katzen haben den Dompteur auf den Rücken geworfen und zerfleischen ihn. Casteels Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, deshalb fühlten sie sich sicher genug, um loszuspringen. Dann nimmt doch dieser doofe Clown mit der roten Perücke das Gewehr, steckt die Pistole ein und geht selbst in den Käfig.«
    O mein Gott, Tom, Tom!
    Der Mann war außer sich, schob mich beiseite und rannte weiter.
    Ein anderer meinte: »Die ganzen verrückten Katzen lagen auf dem Dompteur, aber Lukes Sohn rannte mutiger als irgendein Mann, den ich kannte, direkt in den Käfig, um das Leben seines Freundes zu retten. Dann merkte Luke, was passiert war, und ging, um seinen Sohn zu retten. Weiß Gott, ob einer lebendig herauskommt!«
    O mein Gott – es war meine Schuld, meine Schuld!
    Pa interessierte mich nicht, wieso auch, Pa verdiente alles, was er bekam.
    Aber die Sorge um Tom ließ mich schneller laufen. Die Tränen liefen mir übers Gesicht.
    Pa hatte auf dem Rücken tiefe Wunden von den Krallen, es war eine lebensgefährliche Infektion. Zwei Tage vergingen, während ich auf dem Bett in Großpapas Blockhütte lag und mich dazu zwang, bei meiner Ansicht zu bleiben. Der Mann, der im Krankenhaus um sein Leben kämpfte, verdiente, was ihm passiert war. Er hatte es doch schon vor langer Zeit herausgefordert, als er sich zum Zirkusleben entschloß.
    So wie sich auch Fanny in ihrem neuen Haus darauf vorbereitete, eines Tages mit dem Stadtvolk abzurechnen, das sie immer verachtet hatte. Man konnte eben nicht ein ganzes Leben lang nach links und rechts austeilen, ohne auch einmal das eigene Kartenhaus zum Einsturz zu bringen.
    Tom war viel schwerer als Pa verwundet worden. Denn er war als erster im Käfig gewesen und hatte mit seinem Gewehr nur einen Schuß abgeben können. Dann hatte ihm eine Katze mit einem mächtigen Prankenhieb das Gewehr aus der Hand geschlagen. Pa war hineingestürzt und hatte zwei Katzen mit dem Gewehr erschossen, aber zuvor war auch er ziemlich übel zugerichtet worden.
    Und dann passierte das Schlimmste. Tom starb, und nicht Pa.
    Tom, Tom, Tom, der beste von allen Casteels. Tom, der mich geliebt hatte und mein Gefährte, meine zweite Hälfte gewesen war. Tom hatte mir den Mut gegeben, den ich brauchte, um bis zu dem Tag durchzuhalten und zu warten, an dem mich Pa als seine Tochter akzeptieren würde.
    Die Zeitungen machten Tom zum Helden. Sie verbreiteten sein lachendes Foto, von einer Küste zur anderen. Toms Lebensgeschichte wurde zur Lektüre für alle, und sie hatten sie so gut formuliert, daß sie nur tapfer, aber nicht übertrieben klang. Erst als ich wußte, daß Pa am Leben bleiben würde, faßte ich den Mut, Großpapa die Nachricht, was mit Tom passiert war, mitzuteilen. Großpapa konnte keine Zeitungen lesen, und Nachrichtensendungen mochte er nicht. Lieber hörte er den ganzen Tag lang den Wetterbericht, während er schnitzte. Seine knotigen, alten Hände hielten inne und ließen den kleinen Elefanten los, den er gerade schnitzte. Auf Logans Bitten hin hatte er schon vor langer Zeit mit einem Schach-Set aus Dschungeltieren begonnen.
    »Mein Luke bleibt doch am Leben, oder, Heaven-Mädel?«
    fragte er, als ich zu Ende erzählt hatte. »Wir könn’ Annie nich noch mal mit ’nem Verlust belastn.«
    »Ich habe im Krankenhaus angerufen, Großpapa, er ist über den Berg, und wir können ihn besuchen.«
    »Haste mir doch nich erzählt, Tom wär tot, Heaven-Mädel?
    Tom kann doch nich sterbn, wo er doch grad einundzwanzig is… Hat ja nie viel Glück, meine Jungs bei mir zu habn.«
    Im Krankenhaus ließ ich Großpapa allein in das kleine Zimmer gehen, in dem Pa lag. Er war von Kopf bis Fuß einbandagiert und konnte
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