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Klex in der Landschaft

Klex in der Landschaft

Titel: Klex in der Landschaft
Autoren: Tom Sharpe
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Kapitel 1
    Sir Giles Lynchwood, Parlamentsabgeordneter für South Worfordshire, saß in seinem Arbeitszimmer und zündete sich eine Zigarre an. Vor seinem Fenster blühten Tulpen und Schlüsselblumen, eine Drossel stocherte im Rasen, und die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel herunter. In der Ferne konnte er die Felsen der Cleene-Schlucht erkennen, die hoch über dem Fluß aufragten.
    Doch Sir Giles hatte kein Auge für die Schönheiten der Landschaft. Seine Gedanken drehten sich um andere Dinge: um Geld, um Mrs. Forthby und um die Kluft zwischen den Dingen, wie sie waren, und den Dingen, wie sie hätten sein können. Nicht, daß sich seinem Blick aus dem Fenster eine Aussicht auf ungetrübte Schönheit geboten hätte. Er fiel auf Lady Maud, und was immer sie auch sein mochte, niemand, der noch ganz bei Trost war, würde ihr jemals das Attribut »schön« verliehen haben. Sie war groß und massiv und besaß eine Gestalt, die man einmal zutreffend als rodinhaft bezeichnet hatte – Sir Giles jedenfalls, der sie so leidenschaftlich betrachtete, wie es sechs Ehejahre gestatteten, fand sie kolossal unattraktiv. Dabei war Sir Giles eigentlich nicht besonders pingelig, wenn’s um die äußere Erscheinung ging. Er hatte sein Vermögen damit gemacht, daß er die potentiellen Vorzüge wenig einnehmender Immobilien erkannte, und er konnte mit Fug und Recht von sich behaupten, mehr mittellose Mieter vor die Tür gesetzt zu haben als jeder andere anonyme Vermieter in London. Mauds Äußeres aber war noch das geringste seiner Eheprobleme. Es war eher ihre Gesinnung, ihre unverblümte Selbstsicherheit, die ihn zur Weißglut brachten. Und die Tatsache, daß er zum erstenmal in seinem Leben eine Frau am Hals hatte, die er nicht verlassen, und ein Haus, das er nicht verkaufen konnte. Maud war eine geborene Handyman, und das Herrenhaus der Handymans war immer ihr Zuhause gewesen. Haus Handyman – ein riesiges, weitläufiges Gebäude mit zwanzig Schlafzimmern, einem Ballsaal samt federndem Fußboden, einem Rohrleitungssystem, das Industriearchäologen faszinierte, aber Sir Giles nachts am Einschlafen hinderte, sowie einer Zentralheizung, die zum Verbrauch von tonnenweise Koks konstruiert war und jetzt offenbar megaliterweise Öl schluckte – war im Jahr 1899 erbaut worden, um in Backsteinen, Mörtel und den abscheulicheren Möbeln jener Epoche die Tatsache zu demonstrieren, daß es die Familie Handyman zu was gebracht hatte. Sie hatte eine kurze gesellschaftliche Blüte erlebt: Eduard VII. hatte dem Haus zwei Besuche abgestattet und jedesmal Mrs. Handyman verführt, und zwar in der irrtümlichen Annahme, sie sei ein Zimmermädchen (ein Resultat ihrer Bescheidenheit, dank derer es ihr in der Gegenwart eines Mitglieds des Königshauses die Sprache verschlug). Als Wiedergutmachung für diesen königlichen Fauxpas und für geleistete Dienste wurde ihr Ehemann Bulstrode in den Adelsstand erhoben. Nach diesem kurzen Intermezzo gesellschaftlichen Glanzes waren die Handymans in ihre jetzige Vergessenheit versunken. Nachdem eine Woge von Ale – Handyman Pale, Handyman Triple XXX und Handyman West Country waren zu ihrer Zeit überaus beliebt – die Familie zu echter Berühmtheit hochgeschwemmt hatte, war sie der Neigung zum Brandy erlegen. Der erste Graf von Handyman, ein mißtrauischer Ehemann und ein aus verständlichen Gründen glühender Republikaner, starb gerade rechtzeitig, um posthumen Ruhm als erster Leichnam zu erlangen, für den Schatzkanzler Lloyd Georges exorbitante Erbschaftssteuern fällig wurden. Fast auf dem Fuße war ihm sein ältester Sohn Bartholomew gefolgt, dessen Reaktion auf die Zahlungsaufforderung des Finanzamts die gewesen war, sich mittels zweier Flaschen Trois Six de Montpellier aus dem Fundus seines Vaters zu Tode zu saufen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte das Familienglück vollends vernichtet. Der Zweitälteste, Boothroyd, der zur Beruhigung seiner Nerven einen Schluck aus einer Flasche mit Batteriesäure genommen hatte, ehe er aus dem Schützengraben zum Sturmangriff überging, war mit derart irreparabel geschädigten Geschmacksknospen aus Frankreich zurückgekehrt, daß seinen Versuchen, Handyman Ale die Vorkriegsqualität und -beliebtheit wiederzugeben, genau das entgegengesetzte Resultat beschieden war. Zum erstenmal traf die Ehrenbezeichnung »Außerordentlicher Hoflieferant und Brauer seiner Majestät des Königs« haargenau das Charakteristische der in der Handyman-Brauerei erzeugten Biere.
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