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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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auf, du weißt doch, wie Kinder sind – waren für Helga eine echte Qual.
    »Ja«, log sie. Aber sie wußte es nicht. Ida kam nie zu spät. Bei Therese ging niemand ans Telefon. Sie sprach mit Richards Vater, und der erzählte ihr, sein Sohn sei im Stall. Dann wartete sie, während er dort nachsah. Die Uhr an der Wand störte sie, dieses ewige Ticken, das gefiel ihr nicht. Dann war Richards Vater wieder da. Der Sohn war allein im Stall. Helga legte auf und wartete einen Moment. Ihre Augen wanderten wieder zum Fenster, davon angezogen wie von einem kräftigen Magneten. Sie rief ihre Schwester Ruth an und sank ein wenig in sich zusammen, als sie deren Stimme hörte. Konnte nicht mehr aufrecht stehen, ihr Körper gehorchte ihr nicht, sie hatte das Gefühl, ihre Bewegungsfähigkeit zu verlieren.
    »Setz dich sofort ins Auto«, sagte Ruth. »Komm her, und dann fahren wir eine Runde und suchen sie. Wir werden sie schon finden.«
    »Ja«, sagte Helga. »Aber sie hat keinen Schlüssel. Vielleicht kommt sie, während wir sie suchen.«
    »Laß die Tür offen. Das spielt doch keine Rolle. Sie sieht sicher irgendwo zu. Bei einem Brand oder einem Autounfall. Und vergißt die Zeit.«
    Helga riß die Garagentür auf. Die Stimme ihrer Schwester hatte sie beruhigt. Ein Brand, dachte sie. Natürlich. Ida starrt in die Flammen, ihre Wangen sind tiefrot, die Feuerwehrleute sehen dramatisch und aufregend aus in ihrer schwarzen Kleidung und ihren gelben Helmen, sie kann sich nicht losreißen, so besessen ist sie von Sirenen und Geschrei und dem Knistern der Flammen. Bei einem Brand würde ich doch auch stehenbleiben, überwältigt von der Hitze. Trocken ist es auch, es hat lange nicht mehr geregnet. Oder ein Autounfall. Sie machte sich an den Schlüsseln zu schaffen und stellte es sich vor. Verbogenes Metall, Krankenwagen, Herzmassage und Blut, das alles jagte durch ihren Kopf. Natürlich vergißt sie da die Zeit!
    Zerstreut fuhr sie zum Haus ihrer Schwester in Madseberget. Dazu brauchte sie vier Minuten. Ihre Augen jagten den Straßenrand entlang, vermutlich würde Ida plötzlich auftauchen, korrekt auf der rechten Seite fahren, gesund und munter und glücklich. Aber das passierte nicht. Trotzdem war es besser, etwas zu unternehmen. Helga mußte schalten, steuern und bremsen, ihr Körper war beschäftigt. Wenn das Schicksal ihr übel gesinnt war, dann wollte sie kämpfen. Wollte sich mit Zähnen und Klauen gegen dieses näherkommende Ungeheuer wehren.
    Ihre Schwester Ruth war allein zu Hause. Der Sohn Tom Erik, der von allen Tomme genannt wurde, hatte gerade den Führerschein gemacht. Er hatte lange für einen alten Opel gespart und geknausert.
    »Er wohnt fast darin«, sagte Ruth resigniert. »Ich bete ja nur, daß er vorsichtig fährt. Marion ist in der Bücherei. Die schließen um acht, also wird sie bald hier sein, aber sie kommt allein zurecht. Sverre ist unterwegs. Der ist ja sowieso nie zu Hause.«
    Das letzte sagte sie mit dem Rücken zu Helga, während sie mit ihrem Mantel kämpfte. Als sie sich umdrehte, lächelte sie wieder.
    »Na los, Helga, jetzt fahren wir!«
    Ruth war schlanker und größer als ihre Schwester Helga. Sie war fünf Jahre jünger und weniger ernst. Sie hingen sehr aneinander, und immer kümmerte Ruth sich um Helga. Schon mit fünf Jahren hatte sie sich um die zehnjährige Helga gekümmert. Helga war so schwerfällig und langsam und ängstlich. Ruth war schnell, offen und tatkräftig. Wußte immer Rat. Jetzt schlüpfte sie rasch in die Rolle der Helferin. Sie konnte ihre eigene Besorgnis in Schach halten, wenn sie ihre Schwester tröstete. Ruth fuhr den Volvo im Rückwärtsgang aus der Garage, und Helga stieg ein. Zuerst schauten sie bei Lailas Kiosk vorbei und wechselten einige Worte mit der Frau hinter dem Tresen. Dann blieben sie vor der Tür stehen und sahen sich um. Hielten Ausschau nach Anzeichen dafür, daß Ida dort gewesen war, auch wenn Laila Heggen das abstritt. Danach fuhren sie in den Ort. Schlenderten einmal über den Marktplatz und starrten mit flackernden Augen in alle Gesichter, auf alle Gestalten, doch Ida war nicht zu sehen. Sicherheitshalber fuhren sie auch zur Schule von Glassverket, wo Ida die fünfte Klasse besuchte, doch der Schulhof war verlassen und menschenleer. Dreimal während dieser Suche rief Helga mit Ruths Mobiltelefon ihre eigene Nummer an. Vielleicht wartete Ida im Wohnzimmer. Aber niemand meldete sich. Der Albtraum wuchs, lag zitternd irgendwo vor ihnen und sammelte
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