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Schwarze Schmetterlinge

Schwarze Schmetterlinge

Titel: Schwarze Schmetterlinge
Autoren: Anna Jansson
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vorstellen.« Und dann in etwas gehetztem Ton: »Verstehst du nicht, dass wir uns Gedanken machen?«
    Per Arvidsson holte tief Luft, stellte sich ans Fenster und spürte den Blick seines Vaters im Nacken. Wie empfindsam er für diesen Blick war. Er hörte Schritte und spürte die Hand des Vaters auf seiner Schulter. Wohl hatte er erwartet, dass die Sache irgendwann zur Sprache kommen würde, aber mehr als Andeutung, über die man mit einem Scherz hinweggehen könnte, und nicht als direkte Frage, die er beantworten musste. Er wandte sich um und sah seinem Vater ins Gesicht.
    »Sie heißt Maria, Maria Wern. Sie ist Kriminalinspektorin, verheiratet und hat zwei Kinder. So, nun weißt du es. Ich lasse mich nur auf die unmöglichen Sachen ein. So war es schon immer, wenn ich jemanden wirklich mochte, mit Anneli, Pia und Eva ganz genauso. Ja, Eva mit den langen blonden Haaren, die mit meinem Cousin liiert war. Das hast du dir vielleicht schon zusammengereimt. Ich habe in Kronviken gekündigt. Ich habe es nicht mehr ausgehalten, in Marias Nähe zu sein. Nicht, wenn es so ist, wie es ist.«
    »Und wenn sie alles für dich verlassen würde, Per? Wenn sie jetzt hier stünde, mit Sack und Pack, mit ihren Kindern – was würdest du dann tun? Würdest du dich darauf einlassen?« Die Frage kam in einem einzigen Atemzug, als wäre Folke schon lange mit ihr schwanger gegangen, ohne sie aussprechen zu können.
    Per ließ seinen Blick über den Fluss, die kobaltblaue Wölbung des Himmels und die farbensprühenden Ahornbäume gleiten. Er suchte die Antwort hinter den verschlossenen Augenlidern. Wenn Maria jetzt hier stünde und das Leben eine neue und unsichere Wendung nehmen würde? »Ich denke, ich würde es mit der Angst zu tun kriegen.«
    »Glaube ich auch.« Die Anspannung, die den Körper des alten Mannes beherrscht hatte, ließ ein wenig nach. »Ich muss dir etwas erzählen, Per. Etwas, das ich dir schon längst hätte sagen sollen. Lass uns einen Spaziergang am Fluss machen. Da draußen kann man leichter atmen. Und klarer denken und freier reden.«
    Folke küsste seine Frau auf die Stirn, ehe er seinen Mantel vom Besuchersessel nahm. Sie sabberte, und ein Tropfen zähen Speichels hing ihr vom Kinn, ehe er auf die Decke fiel. Per schloss die Augen. Er wollte das nicht sehen.
    Wenig später gingen sie unter den gelb gefärbten Laubbäumen am Fluss entlang.
    »Der Herbst ist dieses Jahr früh dran. Ich mag die satten Farben«, meinte Folke Arvidsson. »Unter einem klaren blauen Himmel durch das Laub zu stapfen, am frühen Morgen der Elfenreigen über den Wiesen, wenn die Sonne noch groß und rot ist und den Boden erwärmt. Ich mag den Anblick der ätherischen Engelwesen, wie sie aus der Unterwelt aufsteigen. Wie sinnlich sie ihre Schleier im Tanz bewegen. Man kann ihre Gesichter erahnen, jung und gleichzeitig uralt. Das weiße, wallende Haar. Kleine, durchsichtige Füße, ständig in Bewegung, und die schwebenden Röcke. Das setzt bei einem alten Mann die Phantasie in Gang. Das ist schön. Ich hoffe, dass sie einen Schleiertanz für mich tanzen, wenn ich unter die Erde gebracht werde.«
    »Aber so weit ist es ja wohl noch nicht.«
    »Nein, vielleicht noch nicht ganz. Der Herbst war für mich immer der Anfang von etwas Neuem, der Beginn eines neuen Schuljahrs, ein unbeschriebenes Blatt, frisch gespitzte Stifte und neue Schüler, ein neuer Stundenplan. Sollen wir uns da hinten auf die Bank setzen?«
    Folke Arvidsson bog vom Kiesweg ab und lenkte seine Schritte über die Wiese.
    »Du willst also umziehen, Per. Hast du schon überlegt, wohin?« Er wischte ein paar nasse Ahornblätter von der Bank und setzte sich, während er lächelnd einem kleinen Jungen nachschaute. Der Kleine hielt einen älteren Mann an der Hand und trug ein Rindenschiffchen in der anderen Hand. Gemeinsam befestigten sie als Segel ein dunkelrotes Ahornblatt am Mast. Dann balancierte der Kleine auf die Steine hinaus, um das Schiff ins offene Wasser zu legen. Mit seiner kleinen Hand wischte er die Blätter im Wasser beiseite, damit die Fahrrinne offen war. Als das Rindenschiffchen in Richtung Schleuse davonglitt, lachte er. Hand in Hand liefen die beiden am Fluss entlang, bis sie das Rindenschiffchen mit seinem roten Segel aus dem Blick verloren.
    »Nein, ich muss mal sehen, wo ich lande. Ich habe mich auf ein paar Stellen im Süden des Landes beworben.« Per Arvidsson betrachtete seinen Vater und fragte sich, ob er überhaupt zuhörte. Er schien völlig von der
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