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Schwarze Schmetterlinge

Schwarze Schmetterlinge

Titel: Schwarze Schmetterlinge
Autoren: Anna Jansson
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kapierte sowieso nichts.
    Unter dem graugrünen Dach der Fichten war es dunkel und kalt. Die Füße konnten nicht stillstehen, wenn überall Ameisen herumkrochen. Plötzlich hörte sie das Geräusch. Es kam stoßweise, in regelmäßigen Abständen, und klang wie ein Schwein, das sich auf dem Boden herumsuhlte. Im Moos fiel es ihr leichter, sich lautlos anzuschleichen, als auf dem Weg. Die Geräusche wurden immer lauter. Hinter einem Gestrüpp von wilden Himbeeren kauernd sah sie ein Hinterteil, das sich auf und ab bewegte. Mamas geblümter Rock, ein Lappen nur, ganz unten in einem Berg von Armen und Beinen. Die Wesen standen rechts und links von dem Paar auf der Erde. Jetzt konnte sie ihre Gesichter sehen, wie grinsende Wölfe.
    »Na, willst du noch was zu trinken?« Ein kurzer Blick auf Mamas Gesicht. Sie hielten sie fest. Sie taten ihr weh. Mama wimmerte. Pyrets Körper spannte sich an und ging in die Verteidigungshaltung. Wenn sie ein Riese wäre, hätte sie alle wie Käfer zertreten und zu einem blutigen Brei gequetscht. Aber sie war nur ein kleines Mädchen mit ungewöhnlich mageren Armen. Der Zorn, der durch ihren Körper rauschte, verwandelte sich in Tränen. Sie hätte schreien, treten und sie beißen mögen, sie blutig kratzen. Aber sie hatte den Mut nicht. Nur das Weinen war da und die Verachtung, die in ihr brannte, weil sie es nicht wagte, weil sie es nicht schaffte, den Menschen zu verteidigen, den sie am meisten liebte. Mama, ihre geliebte Mama, lag da auf der Erde. Ihr Blick war verschwommen und verriet, dass sie nicht länger in ihrem Körper war. Pyret weinte laut.
    Eines der Schattengesichter entdeckte das Mädchen, das hinter dem Himbeergestrüpp kauerte. »Komm her, Mädel, dann zeigen wir dir was.«
     
    In der Woche zuvor, als sie in der Vorschule über Haustiere sprechen sollten, hatte Pyret eine winzig kleine Krabbe dabeigehabt. Sie war geschält und ein wenig ausgeblichen. Die Krabbe hatte einsam in einer Pfütze von Erbrochenem gelegen, bis Pyret sie vom Fußboden aufgehoben hatte. In Toilettenpapier eingewickelt, war die seltsame Krabbe von Hand zu Hand gewandert, als sie im Stuhlkreis saßen. Die Erzieherin hatte gesagt, dass man Gegenstände von zu Hause mitbringen dürfe, um sie der Gruppe zu zeigen und etwas darüber zu erzählen. »Die Krabbe ist noch ganz, obwohl meine Mama sie rausgewürgt hat.« Das hatte Pyret nicht ohne Stolz gesagt.
    Genauso verhielt es sich mit den Pfifferlingen, die jetzt gerade in einer Pfütze auf dem Fußboden lagen. Die waren erstaunlich ganz dafür, dass sie schon im Bauch gewesen waren, stellte Pyret fest. Von Brot und Kartoffeln blieb immer nur Brei, aber die Pfifferlinge schafften es völlig ganz wieder heraus. Vier der Pilze trugen sogar noch ihren Hut.
    Pyret kroch zu Mama ins Bett und fand das Feuerzeug, das ihr aus der Hand gefallen war. Es war klebrig und blau, und Pyret brauchte ein wenig Zeit und Übung, um eine Flamme zu erzeugen. Man musste einen starken und schnellen Daumen haben. Pyret konzentrierte sich. Die kleine gelbe Zunge verrußte den Bettpfosten. Man konnte damit Figuren malen. Eine Schlange, die sich zur Bettdecke herunterließ, Sterne und ein Z wie in Zorro. Das Feuer roch warm und gemütlich, fast wie zu Weihnachten.
    Mama wälzte sich herum und richtete sich auf. Sie tappte in das Erbrochene und stolperte zum Korb hinüber, in dem der kleine Bruder lag. Der zerknitterte Rock klebte an den Oberschenkeln, als sie sich herabbeugte und ihm über den flaumigen Kopf strich. Meine Mama, nur meine Mama! Rühr ihn nicht an, deine Hände dürfen ihn nicht anrühren, die gehören nur mir! Pyret versuchte, sich zwischen sie zu drängen.
    »Lass mich in Ruhe, ich kann nicht.«
    »Mama, ich bin hungrig.«
    »Lass mich los! Es geht mir schlecht, verdammt noch mal. Das siehst du doch!« Sie kroch wieder ins Bett und schluchzte laut, während Pyret ihr mit der Hand über die schweißnasse Stirn strich. Mama würgte und weinte im Schlaf.
    In der Dunkelheit war die kleine Feuerzunge deutlicher zu sehen. Pyret zündete die Kerze an, die in der Weinflasche auf dem Küchentisch stand, und hob sie mit beiden Händen hoch. Wie eine Lucia schritt sie mit dem Kerzenständer auf dem Kopf durch den Raum. Sie war die Lichterkönigin – die Herrscherin über das Feuer.
    Die Uhr über dem Küchentisch tickte. Als die Flamme näher kam, konnte man sehen, dass auf den Zeigern Staub lag. Auf dem unteren Rand lag eine tote Fliege. Das Feuer musste nur kurz an sie
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