Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Schmetterlinge

Schwarze Schmetterlinge

Titel: Schwarze Schmetterlinge
Autoren: Anna Jansson
Vom Netzwerk:
anderen warf sie auf Mamas geblümten Rock. Auch die kleine Kröte in der dicken rotkarierten Decke kriegte ihren Teil des Sandsturms ab, und zwar mitten ins Gesicht.
    »Hör auf! Du weckst ihn ja.« Mamas feste Hand packte Pyrets Haare und zog daran, bis die Tränen kamen. »Mach das nicht noch einmal, verstanden?«
    »Dumme Mama! Das war doch gar nicht ich«, flüsterte sie leise vor sich hin und vergrub das Gesicht in der Armbeuge, zog sich ins Steinzimmer zurück, in ihr Inneres, das für andere unzugänglich war. Unbeweglich saß sie da und starrte dann mit ihren wütenden Augen auf die beiden. Starrte auf den stummen Strickjackenrücken, der sie aussperrte. Der Blick wurde zu spitzen Nadeln, die sich in Mamas Rücken bohrten. So saß sie lange da, während die Abendsonne ins Meer sank und die Wiesenblumen auf Mamas Rock mit warmen, sanften Farben bemalte.
    Sie bemerkte den Schatten, der über sie fiel, erst gar nicht. Stück für Stück, ohne Vorwarnung wurde die Haut auf Mamas nackten Beinen grau, und die Karos auf der Decke dunkel. Wenn es die Schritte eines Sterblichen gewesen wären, dann hätte man sie hören müssen. Das Schilf hätte gerauscht und sie gewarnt. Die Möwen hätten geschrieen.
    Mama richtete sich auf, aber in ihrem Gesicht war kein Licht mehr. Pyret folgte ihrem erschrockenen Blick von den großen Füßen des Wesens, den Beinen, der Lederjacke bis hoch zu der Stelle, wo das Gesicht hätte sein müssen. Ein schwarzer Schatten, von glühender Sonne umgeben, und eine Stimme wie aus der Unterwelt. »Kommst du mit? Wir haben was besorgt.«
    »Weiß nicht.« Mamas Zeigefinger strich wieder über die Wange des kleinen Bruders. »Pyret, kannst du mal kurz auf ihn aufpassen? Ich bin gleich zurück. Wenn es zu kalt wird, geht ihr einfach nach Hause, ja? Aber trag ihn ja vorsichtig. Und pass auf, wenn ihr über die Straße geht! Hörst du? Hörst du, was ich sage?« Pyret wich vor dem Atem zurück und vor den Augen, die ihr so nah kamen, ihren eigenen Blick einfingen und festhielten. »Ich bin gleich zurück. Bleib hier.« Pyret stand auf und klammerte sich an Mamas Bein fest. »Nein, du darfst nicht mitkommen. Du bleibst hier. Wenn du hinter mir herkommst, kriegst du Schläge.«
    Mamas Hände waren jetzt böse. Sie gruben sich in ihre Schulter und schubsten Pyret weit von sich. Pyret fiel auf den Rücken und starrte in den Himmel. Sie stürzte in einen Strudel, ins Meer, wo es keine Gedanken gibt, nur Wellen der Übelkeit und der Dunkelheit. Sie spürte den Geschmack des Salzwassers auf ihrer Zunge. Der kleine Bruder schrie. Zwang sie aus der Tiefe herauf.
    Pyret erhob sich mit steifen Bewegungen und drückte den Schnuller in seinen Mund. Eigentlich hätte er Schläge verdient.
     
    Sie verschwanden im Fichtenwäldchen, drei Schattengesichter und Mama. Die Bösen Grauen hatten sie in ihre Gewalt gebracht, um sie auszuwechseln. Das war schon öfter passiert. Wenn Mama wieder nach Hause kam, dann würde der Körper dieselbe Hülle wie vorher haben, aber er würde hin- und herschwanken und auf dem Boden herumkriechen. Die Beine, die den Körper aufrecht halten sollten, die Augen, die sehen sollten, der Mund, der reden sollte – all das hatten die Wesen mitgenommen. Damit sie nicht wie ein Zelt ohne Stangen zusammenfiel, füllten die Bösen sie immer mit Klebstoff aus – deshalb musste sie sich auch übergeben.
    Pyret warf einen Blick auf den kleinen Bruder. Er lag da und sah in den Himmel hinauf, wo die Wolken zusammenstießen und zu immer größeren weißen Wattebäuschen wurden und neue Figuren bildeten: einen Löwen, der sich in eine Hexe verwandelte, eine zusammengerollte Katze oder eine Zimtschnecke. Dann kam ein Bagger, der Zuckerwatte aß. Pyret war so hungrig, dass ihr der Bauch wehtat.
    »Mama, geh nicht weg!« Auf nackten Füßen rannte sie den Weg über die Düne zum Wäldchen. »Geh nicht weg, sonst sterbe ich! Ich will nicht allein sein!« Nadeln und trockene Äste stachen ihr in die Fußsohlen. Eine Ameise saugte sich auf ihrem Fuß fest und weigerte sich, loszulassen, ehe sie nicht stehen blieb und sie mit dem Finger wegschnippte. »Mama, warte auf mich!«
    Pyret blieb stehen und horchte. Eine Mücke summte direkt neben ihrem Ohr, ein Eichhörnchen sauste vor ihr den Stamm hinauf, dass die Rinde laut raschelte, und machte einen gewagten Satz zum nächsten Baum hinüber. Unten am Strand schrie wie besessen ihr Bruder, der Außerirdische. Sollte er doch da liegen und brüllen. Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher