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Schwarze Schmetterlinge

Schwarze Schmetterlinge

Titel: Schwarze Schmetterlinge
Autoren: Anna Jansson
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können, als wir es tun. Kannst du uns unsere Selbstsucht verzeihen? Mama und ich dachten, es wäre das Beste für dich.«

3
    Auf der Zugfahrt nach Örebro hatte Per Arvidsson nicht die Zeit zum Nachdenken und Planen gehabt, die er sich erhofft hatte, als er in Kronviken eingestiegen war. Seine Schwester würde ihn am Bahnhof abholen. Er hatte keine Ahnung, wie sie aussah. Es gab einen Namen, Pernilla Gunnarsson, und eine zögernde Stimme am Telefon. Der Rest war bis auf Weiteres seiner Phantasie überlassen. Falls er eine Art Freundschaft zu ihr empfinden würde, dann würde er vielleicht die Stelle in Örebro annehmen, die man ihm angeboten hatte. Warum nicht? Alles war besser, als in Kronviken zu bleiben und zuzusehen, wie Maria Wern darum kämpfte, eine Ehe aufrechtzuerhalten, die aus Strohhalmen gebaut war.
    Der große, eigensinnige Arvidsson hatte versucht zu blasen und zu pusten, aber die Beziehung schien doch fester zu sein, als er vermutet hätte. Nach dem Gespräch mit Folke hatte er sich ein Herz gefasst und Maria am Abend vor der Abreise zum Essen eingeladen. Er hatte die Lage gepeilt, um dann, noch ehe sie ihm antworten konnte, den Ernst, den er in sich trug, lachend abzutun. Er hatte kurz seine Sehnsucht und seine Einsamkeit gestreift, es dann aber bei Doppeldeutigkeiten belassen. Sie hatte ihre Hand nicht weggezogen, als er sie berührte und dann in seiner behielt. Er hatte sie beim Abschied viel zu lange umarmt, ihre Stirn und ihre Wange geküsst. Aber die eine Frage wurde nie wirklich gestellt. Wenn er genauer darüber nachdachte, dann war es jedes Mal so gewesen. Das letzte erlösende Wort wurde nie ausgesprochen. Wenn es brenzlig wurde, hatte er sich immer entzogen.
    Und jetzt war er schon wieder auf der Flucht. Auf dem Weg nach Örebro. Hier in der Anonymität des Zuges hatte er mit etwas Zeit für sich selbst gerechnet. Mit einer Frist, in der er die wichtigen Fragen über Helen und den Vater, den er nur als einen Schatten ohne Namen erahnte, formulieren konnte. Doch es kam nicht dazu. Um ihn herum lösten sich ebenso laut geführte wie belanglose Handygespräche ab, und Per fiel es immer schwerer, sich auf das Treffen zu konzentrieren.
    Er lehnte den Kopf ans Fenster. Natürlich war er angespannt. Seine Handflächen waren feucht. Er trocknete sie an der Hose ab. Das Hemd klebte ihm kalt unter den Achseln, als er sich anders hinsetzte. Vorsichtig öffnete er das Papier von dem Blumenstrauß ein wenig, um sicherlich zum fünften Mal zu kontrollieren, ob die Rosen auch nicht die Köpfe hängen ließen. Wie verhält man sich, wenn man nach dreißig Jahren zum ersten Mal seine Schwester trifft? Gibt man sich die Hand? Umarmt man sich? Das wäre vielleicht ein bisschen peinlich. Und was macht man, wenn man keine Gemeinsamkeiten findet?
    Schon ein komisches Gefühl, seine eigene Schwester zu treffen, ohne auch nur das Geringste von ihrem Leben zu wissen. Vielleicht ist sie Single wie ich, dachte Per, ein wenig wunderlich und sehr einsam. Vermutlich rothaarig. Vielleicht wird sie mich nicht mögen, dachte er. Möglicherweise sind wir zu unterschiedlich. Oder zu ähnlich? Wenn sie genauso schweigsam ist wie ich, dann könnte es schwierig werden.
    Als der Zug in Uppsala hielt, konnte er nicht umhin, die Frau zu bemerken, die am Zug entlanglief. Sie trug eine blaue gehäkelte Mütze, die beim Laufen auf und ab wippte. Ein bunter, langer Mantel flatterte ihr um die Beine. Mit unverminderter Geschwindigkeit und einem Gepäck, als wolle sie in der Arktis überwintern, stürmte sie durch den Waggon und fiel in den Sitz Arvidsson gegenüber. Das helle Haar hing ihr in Strähnen unter der Blaubeermütze hervor, und die Wimperntusche war verlaufen. Laut keuchend arbeitete sie sich aus dem nassen Mantel. Eine Mischung aus Parfüm und Körpergeruch dampfte ihm in einer Wolke ins Gesicht. Ihre gut gebaute Oberweite hob und senkte sich mit ihren Atemzügen. Er konnte nicht umhin zu bemerken, dass sie keinen BH trug. Er versuchte, nicht hinzustarren. Unter dem dünnen, lachsrosafarbenen T-Shirt zeichneten sich eigensinnig und naseweis die Brustwarzen ab. Er versuchte, seinen Blick auf etwas anderes zu fixieren.
    »Fahren Sie noch weit?«, erkundigte sie sich. »Ich dachte mir, vielleicht könnten wir die Plätze tauschen, mir wird vom Rückwärtsfahren nämlich schlecht. Wenn es Ihnen nichts ausmacht? Aber vielleicht wird Ihnen ja auch schlecht im X2000. Dann müssen wir natürlich nicht tauschen. Nicht wenn Ihnen
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