Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Autoren: Nora Luttmer
Vom Netzwerk:
Gunst aus der spirituellen Welt. Wie im Geschäftsleben galt auch hier die Devise, dass ein anständiger Profit zunächst einmal eine vernünftige Investition erfordert. Und auch Ly wollte nicht mit leeren Händen kommen. Er hielt sich nicht für gläubig, aber man wusste ja nie. Er steuerte auf einen der vielen Verkaufsständemit Opfergaben zu. Der Schlag in die Nieren kam vollkommen überraschend und nahm ihm den Atem. Ein zweiter Schlag traf ihn zwischen die Rippen, seine Beine sackten weg.
    Als sein Blick wieder klar wurde, lag er auf dem Boden und schaute in die farblosen Pupillen eines Blinden. Niemand außer diesem einen Mann war stehen geblieben, alle anderen gingen unbeirrt an ihm vorbei. Langsam drangen die Worte des Blinden zu ihm durch. »… wachsam. Wenn das Licht schlecht ist, vermag sich auch ein böser als guter Geist zu tarnen.« Ly schüttelte den Kopf. Ein Wahrsager. Ly wollte nichts über seine Zukunft hören. Er tastete seine Hose ab, das Mobiltelefon war noch da, aber sein Geld fehlte. Er rappelte sich auf, ohne nach der Hand zu greifen, die ihm der Mann anbot, und entfernte sich hastig.
    *
    Am Tatort war nur die Kreidezeichnung geblieben. Daneben hatte jemand eine Vase mit weißen Lotusblumen und eine Keramikschale mit Räucherstäbchen gestellt. Es sah aus wie auf einem Opferaltar. Auch bei der Leiche hatten Lotusblumen gelegen. War der Mörder zurückgekehrt? Die Räucherstäbchen glimmten noch, und der Rauch kräuselte sich in der heißen Luft. Kommissar Ly schaute sich suchend um, sah aber unter den vielen Menschen niemanden, der ihm besonders ins Auge fiel.
    Vom Wasser her hörte er ein Plätschern. Der Tempelhof grenzte direkt an den Westsee. Ly ging zu der niedrigen Mauer, die das Ufer säumte, und schaute, wo das Geräusch herkam. Er sah nichts als einen krummen Bambussteg,der einige Meter in den See hineinragte. Das Sonnenlicht blitzte auf dem Wasser. Über der Innenstadt am südlichen Ufer hing ein grauer Dunst. Ly setzte sich, den Blick wieder auf den Tatort gerichtet. Vor seinem inneren Auge spulten sich die Bilder der vergangenen Nacht noch einmal ab.
    Es war etwa drei Uhr gewesen, als der Anruf bei ihm eingegangen war. Zwanzig Minuten später fuhr er durch das Tempeltor. Der beißende Geruch abgebrannter Räucherstäbchen hing in der Luft. Eine Ratte schrie.
    Etwas am Rand, neben einem kleinen gemauerten Altar, standen mehrere Leute zusammen. Sie tuschelten, irgendjemand weinte leise. Dennoch lag eine seltsame, tödliche Ruhe wie eine Glocke über ihnen.
    Ein uniformierter Beamter kam auf Ly zu. Seine Bewegungen wirkten wie in Zeitlupe. Die Schultern hatte er weit nach oben gezogen. Sein Gesicht war fahl, und er hatte noch die pickelige Haut eines Pubertierenden. Ein säuerlicher Geruch ging von ihm aus. Mit einer vagen Kinnbewegung wies er in Richtung Ufermauer, ohne Anstalten zu machen, Ly zum Tatort zu begleiten. Ly ließ ihn. Dieser Junge würde ihm sowieso keine Hilfe sein.
    Ly ertastete sich seinen Weg zwischen den Luftwurzeln des uralten Banyans hindurch. Dick wie Baumstämme spannten sich die Luftwurzeln in einem dichten Netz über den Platz. Er stolperte über einen herumliegenden Gegenstand und spürte trockene Rinde unter seinen Fingern. Und dann etwas Weiches. Er zuckte zurück. Ihr Gesicht war genau vor ihm. Sie starrte ihn an, leblos und doch wütend, voller Verachtung. Ihm wurde schwindelig, er schloss die Augen, drückte die Handflächen fest gegenseine Schläfen, schüttelte heftig den Kopf und murmelte ein »lay troi lay dat« . Seine hilflose Beschwörungsformel, um die bösen Geister zu vertreiben.
    Dann zwang er sich, die Tote genauer anzuschauen. Er ließ den winzigen Lichtstrahl seines Feuerzeugs über sie gleiten, sah diffuse Ausschnitte. Verzerrt und gelblich schimmernd. Ly ahnte die Kraft des Mörders und seine Gewalt. Überall war Blut. Die Tote war an die Luftwurzeln gefesselt, mit einem dünnen Seil, die Füße knapp über dem Boden. Unter ihren Füßen lagen rot verfärbte Lotusblumen. Abgebrannte Räucherstäbchen steckten im Boden. Ihr Gesicht war zertrümmert, die Kehle aufgeschlitzt. Ihr Körper war seltsam verbogen. Die lange, dunkle Stoffhose hing schief wie bei einer misshandelten Puppe an ihr herunter. Die Bluse war zerrissen und gab den Blick frei auf nackte Haut. Ihre Brust war klein, die Tote war fast noch ein Kind. Ly merkte, wie ihn seine professionelle Fassade verließ, seine Knie weich wurden. Schnell wandte er sich ab.
    Der junge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher