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Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Autoren: Nora Luttmer
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praktiziert. Ly hatte dabei die taoistische Seite immer für den persönlichsten und am meisten Trost spendenden Glauben gehalten. Magie, Geisterbeschwörungen und die Verwendung von Amuletten und anderen Glücksbringern standen im Vordergrund.
    Am Morgen hatte Ly noch schnell seine Mutter, die wohl wie die meisten alten Frauen eine Expertin in religiösen Dingen war, über die Gottheit Lieu Hanh befragt.
    Die Prinzessin Quynh Hoa war die Tochter des Jadekaisers, des Herrschers über den Himmel. Nachdem sie eine wertvolle Jadeschale ihres Vaters zerbrochen hatte, wurde sie zur Strafe für einige Zeit auf die Erde geschickt. Sie wurde in der Person der Lieu Hanh geboren. Nach 21 Jahrenwar ihre Verbannung beendet, und sie starb. Zurück im Himmel konnte sie ihr Leben auf Erden aber nicht vergessen. Immer wieder stieg sie hinab, half guten Menschen und bestrafte die Bösen.
    Der unbekannten Toten hat sie nicht beigestanden, dachte Ly.
    Der Alte zog ihn zu sich heran, sein Mund war ganz nah vor Lys Ohr. »Man munkelt, Lieu Hanh habe während ihrer kurzen Zeit auf Erden mit ihrem Körper Geld verdient. Deshalb soll sie ermordet worden sein. Ertränkt im Fluss.«
    Dieser Teil der Geschichte war Ly neu. »Glauben Sie, die Tote war eine Prostituierte?«, fragte er.
    Fahrig rieb Herr Vu die Handflächen aneinander. Das Thema bereitete ihm eindeutig Unbehagen. »Es kommen auf jeden Fall viele hierher. Leidensgenossinnen der Lieu Hanh erhoffen sich da wohl besondere Zuwendung.«
    »Haben Sie die Tote zuvor schon einmal hier im Tempel gesehen?«
    »Wie soll ich das wissen? Ihr Gesicht war ja vollkommen entstellt. Aber ihre Augen. Nein, ich glaube nicht.«
    *
    Das Polizeipräsidium lag nahe dem Hauptbahnhof in der Tran-Hung-Dao, einer mit alten Pancovier-Bäumen gesäumten Allee. Es war ein zweistöckiger Bau aus der französischen Kolonialzeit, bernsteinfarben getüncht, mit bodentiefen Fenstern und grünen Lamellenjalousien. Die großen Flügeltüren zum Foyer, in dem, umgeben von immer frischen Blumengestecken, die Büste Ho Chi Minhsstand, waren zur Straße hin weit geöffnet. Abends wurde die Büste angestrahlt.
    Lys Büro lag im zweiten Stock mit Ausblick auf die Königspalmen im Hinterhof. Es war ein großer Raum mit kahlen, türkisgrünen Wänden. Es gab einen Schreibtisch, zwei Stühle, eine Sitzgarnitur aus schwarzem Kunstleder, einen Deckenventilator.
    Ly ließ sich in den Sessel sinken, streckte die Beine von sich, rauchte und beobachtete das ziellose Kreisen der Fische. Das Aquarium war das einzig Persönliche im Raum. Winzige lachsrote Regenbogenfische umschwärmten ein steinernes Pagodentürmchen. Der Zebrawels wühlte sich durch den Kieselboden. Ly mochte Fische. Er mochte alles, was keinen Lärm machte.
    In Gedanken legte er sich den Vorgang der Ermittlungen zurecht. Die üblichen Fragen gingen ihm durch den Kopf. Routine.
    Er ging den Ordner mit den Vermisstenmeldungen durch, fand darin aber trotz konzentrierter Arbeit niemanden, der dem Mädchen, das er in der Nacht im Tempelhof gesehen hatte, ähnelte. Er würde eine Fahndungsmeldung herausgeben und eine Meldung für die Presse.
    Es klopfte, und eine mollige Polizistin in grasgrüner Uniform, die an den Oberschenkeln spannte, brachte ihm den vorläufigen Bericht der Spurensicherung. Ly wunderte sich, dass es so schnell gegangen war. Er überflog die Unterlagen. Es gab am Tatort weder Kampf- noch Schleifspuren. Abdrücke von Schuhen waren viele vorhanden, zu viele, als dass damit etwas anzufangen war. Unweit der Toten hatte ein Messer gelegen, vermutlich die Tatwaffe, Genaueres mussten die Gerichtsmediziner abklären. Eswar ein handelsübliches Küchenmesser, wie es in den Dörfern hergestellt wurde, mit breiter Klinge und einfachem Holzgriff. Ebenso unergiebig würden die Lotusblumen sein, die bei der Toten gelegen hatten. Dieses Jahr hatte die Lotusblüte sehr früh begonnen, und die Blumen wurden bereits an jeder Straßenecke verkauft.
    Es hatte fast den Anschein, als sei der Mörder peinlich darauf bedacht gewesen, keine Spuren zu hinterlassen. Wenn da nicht die Zigarettenkippen der Marke 555 gewesen wären. Auf ihnen befanden sich Fingerabdrücke. Allerdings stimmten sie mit keinen aus der vorhandenen Datenbank bekannter Krimineller überein.
    *
    Ly erkannte Lan schon von Weitem am Klacken ihrer hochhackigen Schuhe. Seit zwei Jahren war sie nun seine Assistentin. Er hatte sie anfangs nicht ganz ernstgenommen. Wenn er daran dachte, war es ihm immer noch
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