Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Autoren: Nora Luttmer
Vom Netzwerk:
geöffneten Türen der Altarhalle. Dort zündete er es an. Auch in der anderen Welt würden die Toten vielleicht ein Boot brauchen.
    Die Sampanschiffer, die ebenfalls zu der Zeremonie gekommen waren, aber in gebührendem Abstand zu allen anderen saßen, sahen zu, wie das Papierboot in Flammen aufging und dicker grauer Rauch aufstieg.
    Ihr Anführer, Phan Duy Huy, war nicht unter ihnen. Er lag mit einer Schussverletzung im Krankenhaus. Sein Zustand war noch immer kritisch.
    Versteckt in einer Ecke saß Ly. Er konnte kaum die Augen offen halten. Seine angebrochenen Rippen ließen ihn nur schwer atmen, und seine Prellungen brachten den Körper zum Glühen. Huong saß neben ihm und hatte sich an ihn gelehnt.
    Drei Tage hatte Ly im Krankenhaus gelegen. Es hatte zehn Stunden gedauert, bis er überhaupt wieder zu sich gekommen war. Ngoc hatte ihn gerade noch rechtzeitig gefunden.
    Der Einsatz am Fluss war nur ein halber Erfolg gewesen. Sie hatten die Mädchen, die für die Koreaner reserviert gewesen waren, befreit. Und Ngoc hatte die gesamte Mannschaft vom Wasserschutz festgesetzt. Sie hatten nicht einmal ein Boot gehabt, um zu fliehen. Xuan hatte seine Männer gnadenlos ausgeliefert. Ebenso Thanh. Sie war bei den Mädchen auf dem Sampan gewesen. Heute Morgen hatte Ly sie kurz im Verhörraum auf dem Präsidiumgesehen. In Handschellen. Sie hatte nur dagesessen und sich nicht gerührt, aschfahl und wie erstarrt. Für den Bruchteil einer Sekunde hatten sich ihre Blicke getroffen. Ly hatte nur noch Abscheu empfinden können.
    Xuan allerdings, der Kopf dieser erpresserischen Bande, war entkommen. Über den Fluss. Hai Au war ihm zwar gefolgt, hatte aber keine Chance gehabt. Nicht nachts und nicht bei den vorherrschenden Strömungsbedingungen. Kurz hinter der Flussmündung ins Südchinesische Meer hatte die Küstenwache Xuans Spur noch einmal aufgenommen, sie jedoch schnell wieder verloren. Die Gegend da draußen war ein Labyrinth aus Felseninseln, tiefgrün bewachsen, mit versteckten Buchten und Höhlen, in denen jedes Boot verschwinden konnte. Und der Weg nach China war auch nicht weit. Es wäre ein Leichtes, sich nach dort drüben abzusetzen.
    »Kann nicht an Zeremonie teilnehmen. Dir gute Besserung und Grüße aus China.« Ly hatte nicht lange überlegen müssen, was diese SMS, die Hai Au ihm am Morgen geschickt hatte, bedeutete. Hai Au würde Xuan nicht einfach so laufen lassen. Sollten sie sich doch jagen, dachte Ly. Das war jetzt eine Sache zwischen den beiden.
    Ly stand auf. Die Zeremonie für die Seelen der drei Ermordeten würde noch eine Weile dauern. Aber er wollte nach Hause. Morgen würde Thuy zurückkommen. Sie wusste noch immer nicht, was geschehen war, und er würde ihr alles erzählen müssen. Vorher aber wollte er schlafen, einfach nur schlafen.
    Herr Vu hatte wieder zum Gong gewechselt, und der Zeremonienmeister rief: »Lass mich deine Seele befreien. Ich befreie dich, hab keine Angst.«
    Zusammen mit Huong verließ Ly leise die Altarhalle. Draußen auf den Eingangsstufen hielt er kurz inne. Dort stand der blinde Wahrsager. Ly fragte sich, ob Herr Vu ihn zu der Zeremonie eingeladen hatte oder ob seine Toten ihm das zugeflüstert hatten.

Nachwort
    Quà dù’a, quà dù’a, quà dú’a … Kokosnuss, Melone, Ananas … Das Vietnamesische ist eine Sprache mit sechs Tönen. Den »richtigen Ton« zu treffen ist essentiell für das Verständnis.
    1995 machte ich mich erstmals nach Hanoi auf. Ich studierte seit einem Jahr in Passau Südostasienkunde und versuchte mich im Vietnamesischen. Doch in Vietnam schaffte ich es nicht einmal, einen Kaffee mit Milch zu bestellen. Die Reden von Ho Chi Minh, durch die ich mich im Sprachkurs vor Ort quälte, brachten mich da auch nicht weiter.
    »Einmal in Hanoi und Sie kommen niemals wieder von dieser Stadt los«, sagte der Vietnamistik-Professor Wilfried Lulei, den ich in Hanoi kennenlernte. Ich hatte schon nach zwei Wochen genug: vom Sozialismus, von der klebrigen Hitze und vor allem von diesen verfluchten Tönen.
    Zurück in Passau schaffte ich es jedoch nicht, meinem Vietnamesisch-Lehrer Le Mong Chung zu beichten, wie sehr mich Vietnam frustriert hatte. Er freute sich so sehr, dass ich in seiner Geburtsstadt gewesen war. Und so murmelte ich, nicht ganz überzeugend: »Es war ganz toll«.
    Irgendwie gelang es ihm, mich aufs Neue für Vietnam zu begeistern. Ihm gilt hier daher mein ganz besonderer Dank.Zwei Jahre später landete ich wieder in Hanoi. Das Flugzeug hielt weit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher