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Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Autoren: Nora Luttmer
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Beamte stand immer noch regungslos an derselben Stelle.
    »Wer hat den Notruf geschaltet?«, fragte Ly ihn.
    Der Polizist schüttelte den Kopf und schaute zu Boden. Ly verkniff sich einen Kommentar.
    »Was ist passiert? Wir wohnen hier. Wir wollen wissen, was passiert ist«, hörte Ly eine Stimme hinter sich. Er drehte sich um. Etwa zwanzig Leute standen da. Er konnte nicht sagen, wer gesprochen hatte.
    »Das hoffe ich von Ihnen zu erfahren«, sagte Ly. »Wer hat die Leiche gefunden? Wer von Ihnen hat die Polizei verständigt?«
    »Ich war das.« Ein Teenager, mit zu langen Armen für den noch kindlichen Körper, trat aus dem Schutz des Banyans auf Ly zu. Er hatte etwas abseits gestanden. Ly war sich sicher, ihn schon einmal gesehen zu haben, konnte ihn allerdings nicht zuordnen. Vielleicht war er ein Freund seiner Tochter? Das Alter käme hin. 16, höchstens 18 Jahre alt. Die Anwohner sahen ihn aus dumpfen Augen an, fast feindlich.
    »Ich war das«, wiederholte der Junge mit fester Stimme. Er machte ganz und gar nicht den Eindruck, unter Schock zu stehen.
    »Was hast du hier am Tempel gemacht? Mitten in der Nacht.« Es klang wie ein Vorwurf, und sofort ärgerte Ly sich über sich selbst. Langsam sollte er doch gelernt haben, dass Maßregelungen ihn nicht weiterbrachten, schon gar nicht bei Jugendlichen. Der Junge schien ihm seine Ermahnung allerdings nicht weiter übelzunehmen.
    »Ich komm oft hierher. Ist schön einsam. Zu Hause ist es eng. Nur ein Zimmer für alle. Sie wissen schon.«
    Ly verstand genau, was er meinte.
    »Wie heißt du?«
    »Tran Van Cuong.«
    »Ach, du bist der Sohn des Sargbauers.« Daher kannte er ihn also. »Erzähl bitte genau, was passiert ist. Lass dir ruhig Zeit.«
    »Ich bin mit dem Roller gekommen. Es war so gegen drei. Oder früher.« Er stockte, setzte dann wieder an. »Sie war schon tot.«
    »Wieso bist du dir da so sicher?«
    »Keine Ahnung. Sie war warm. Aber auch kalt.«
    »Du hast sie angefasst?«
    »Sollte ich das nicht?«
    Es irritierte Ly. Wer fasst eine Tote einfach so an? »Von wo hast du die Polizei angerufen?«
    »Mit meinem Handy.«
    »Ist dir was aufgefallen? Vielleicht hast du was gehört?«
    Cuong schüttelte den Kopf und hielt Ly einen MP3-Player hin, nicht größer als ein Knopf.
    Ly nahm die dazugehörigen Ohrhörer. Sie schlossen dicht mit dem Gehörgang ab. »Stell mal an. In der Lautstärke, in der du gehört hast.«
    Cuong schaltete das Gerät ein. Sofort riss Ly sich die Stöpsel aus den Ohren. Der Junge hätte keinen Panzer anrollen gehört.
    »Cola! 7 Up!« Die Stimme holte Ly zurück in die Gegenwart. Die Hitze war mittlerweile unerträglich geworden. Sein Hemd klebte nass auf seinem Rücken. Gerne hätte er dem fliegenden Händler ein Getränk abgekauft. Aber er hatte sich ja sein Geld klauen lassen. Er zog seine letzte Zigarette aus der goldenen Vinataba -Packung, zündete sie an und sog den Rauch tief ein. Verdammt, warum musste gerade er die Ermittlung leiten? Er mochte ja mit seinen Mitte vierzig ein ganz erfahrener Polizist sein. Aber er wusste, er würde in diesem Fall unfähig sein, mit Distanz an die Sache heranzugehen. Die Tote war kaum älter als seine Tochter.
    Ly stand auf und fragte sich zum Haus des Straßenwarts durch. Diese Hilfssheriffs nahm er immer gerne in Anspruch. Sie wussten, was in der Nachbarschaft los war.
    Der Mann hieß Vu Van Oanh und wohnte gleich neben dem Tempeleingang. Vor seinem Haus, einer einstöckigenBacksteinhütte, wie man sie kaum noch fand in Hanoi, saßen fünf Männer in gestreiften Schlafanzügen. Die Einheitstracht der alten Herren. Vor sich eine halbleere Flasche Kräuterschnaps.
    Ly hatte sich gerade vorgestellt, als ihn von der Seite eine Hand am Unterarm packte. Für den Bruchteil einer Sekunde erwartete er den nächsten Schlag. Dann sah er, dass es nur eine alte Frau war, die ihn festhielt, und er wunderte sich über ihren eisernen Griff. Sie war winzig und ihr Gesicht knittrig wie Pergament.
    »Militärs, es waren Militärs, ich habe ihren Wagen gehört«, raunte sie ihm zu.
    Ein junger Mann trat hinter sie und sagte sanft: »Komm, Großmutter. Komm rein.«
    Ly zog seine Hand aus ihrer Umklammerung, und der Enkel hakte sich bei der Frau ein und führte sie in einen Hauseingang. Er drehte sich noch einmal um und sagte zu Ly: »Entschuldigen Sie. Meine Großmutter ist verwirrt. Sie lebt in der Vergangenheit.«
    Ly schaute ihr hinterher und hörte sie noch mehrmals diesen einen Satz wiederholen. »Militärs, es
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